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Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten

Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten

Titel: Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
Autoren: Kai Meyer
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etwas anderem wurde, einem simplen Gemälde derselben Szene, ohne Bewegung, ohne Tiefe, nicht einmal besonders hübsch gemalt.
    Als Kyra der Besitzerin der Stimme ins Gesicht blickte, glaubte sie erst, sie schaue in einen Spiegel – einen magischen Spiegel, der sie einige Jahre älter machte, ohne sie dabei mehr als nötig zu verändern.
    Aber es war kein Spiegel. Vor ihr stand eine Frau mit dem gleichen roten Haar, langen Locken, die sich nicht bändigen ließen und wie geronnenes Feuer über ihre Schultern flossen.
    Auch ihr Gesicht hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit jenen Zügen, die Kyra jeden Morgen aus dem Badezimmerspiegel entgegenblickten. Die Frau war noch jung, Mitte zwanzig vielleicht, um einiges jünger als Tante Kassandra. Trotzdem wirkte sie ein wenig erschöpft, als hätte sie in den vergangenen Tagen zu wenig geschlafen – Kyras Tante sah manchmal so aus, wenn sie am Abend zuvor »ein wenig zu fröhlich« gewesen war, wie sie es gerne ausdrückte.
    »In Wirklichkeit war der Tod des Königs noch viel trauriger«, sagte die Frau und strich sich eine lodernd rote Korkenzieherlocke aus der Stirn.
    »Einen Monat lang erwachten die Kinder im ganzen Land jede Nacht und weinten, ohne zu wissen, warum. Drei Tage lang schmeckte das Wasser in ganz Britannien salzig wie Tränen.«
    »Das klingt, als wären Sie dabei gewesen«, sagte Kyra zögernd. Ein gespielt beiläufiger Blick auf ihren Unterarm verriet ihr, dass trotz allem noch immer keine Gefahr drohte.
    Die Frau lächelte hintersinnig. »Keine Angst, im Augenblick besteht für die Sieben Siegel kein Grund zu erscheinen.«
    Kyra schrak zusammen. »Sie wissen davon?«
    »Natürlich«, sagte die Frau. »Du bist eine Siegelträgerin, genau wie deine drei Freunde.«
    Unwillkürlich trat Kyra einen Schritt zurück und stieß dabei mit dem Rücken gegen das Gemälde von Artus’ Tod. »Wer sind Sie?«
    »Nicht jetzt«, sagte die Frau kopfschüttelnd und wirkte dabei sichtlich bedrückt. »Wir haben keine Zeit. Du bist in Gefahr. Morgana weiß, dass du hier bist. Sie wird dich suchen lassen.«
    »Morgana? Etwa die –«
    »Die Schwester des Königs Artus«, bestätigte die Frau. »Morgana le Fey, die Zauberkönigin, die ihren eigenen Bruder in den Untergang trieb. Die ihn betrog und einen Sohn mit ihm zeugte – Mordred, der seinen Vater auf dem Schlachtfeld von Camlann mit einer Lanze durchbohrte. Auch heute geht wieder Unheil von Morgana aus. Ihre Heere überziehen die Anderswelt mit Tod und Zerstörung.«
    »Aber Morgana ist nur eine Gestalt aus einer Sage! Nur eine Erfindung!«
    »Das solltest du besser wissen, nach allem, was du bisher erlebt hast. Denkst du nicht auch, Kyra?«
    Es wunderte sie jetzt nicht mehr, dass die Frau ihren Namen kannte. Kyra blickte ihr fest in die Augen und suchte darin nach den geheimen Antworten, die die Frau ihr freiwillig nicht geben wollte.
    Diese Ähnlichkeit …
    Aber nein, es konnte nicht sein. Ihre Mutter war tot, schon seit vielen Jahren. Und sie hätte heute sehr viel älter sein müssen.
    Die Frau lächelte sanft. »Pass gut auf dich auf, Kyra. Ich werde bald deine Hilfe brauchen.«
    »Meine Hilfe?«
    »Ja. Aber bis dahin kann ich dich nur warnen. Achte auf Morganas Dienerinnen. Sie werden versuchen, dich zu locken und zu täuschen … und zu töten.«
    »Aber warum mich?«
    »Weil du bist, wer du bist, Kyra. Und wegen der, die du noch sein wirst, später, wenn du erwachsen bist.« Sie streckte eine Hand aus und berührte zärtlich Kyras Wange. »Ich muss jetzt gehen. Aber wir werden uns wieder sehen, schon bald. Fahr zurück und warne auch deinen Vater – falls er Zeit für dich hat.«
    »Sie wissen so vieles über mich …«
    »Mehr als du selbst. Viel mehr als du selbst.«
    Mit diesen Worten drehte die Frau sich um und ging davon. Kyra wollte ihr folgen, aber ihre Füße waren plötzlich schwer wie Blei. Erst als die Frau hinter der nächsten Gangbiegung verschwunden war, konnte Kyra sich wieder frei bewegen. Sie stürmte los, bog um die Ecke – doch da war niemand mehr. Stattdessen führte der Korridor zurück zu der Tür, durch die sie das Museum betreten hatte, hinaus auf den Gang, in dem sich das Kassenhäuschen befand.
    Sollte sie die ganze Zeit über im Kreis gegangen sein, sodass sie sich jetzt wieder am Beginn ihres Weges befand? Das schien ihr ebenso sonderbar wie die kurzzeitige Lähmung ihrer Füße, so sonderbar wie die geheimnisvolle Frau selbst.
    So sonderbar wie überhaupt alles, das in den
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