Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
jetzt tun?, dachte Herr Fleck und versuchte, seine Panik zu unterdrücken.
    Die Geister kamen näher.
     
    »Die Wurzel!«, rief Chris und deutete nach hinten. Am Ende des Grabens waren die beiden Scheuchen aufgetaucht. Im Augenblick verharrten sie reglos im Dunkeln. Aber sobald die Freunde die Blicke von ihnen abwandten, würden sie erneut näher kommen.
    Kyra begriff, was Chris meinte. Gerade erst waren sie auf ihrer Flucht an den Wurzelsträngen einer gewaltigen Eiche vorbeigekommen. Die Wurzel war alt, borkig und so hart wie Stein. Es musste möglich sein, an ihr hinaufzuklettern und so aus diesem Graben zu entkommen.
    Chris’ Ruf hatte sie von der dritten Scheuche abgelenkt. Als Lisa sich jetzt wieder zu ihr umdrehte, stand sie nur noch zwei Meter von den Freunden entfernt.
    »Schnell!«, rief Kyra.
    »Wartet«, erwiderte Lisa. »Wir müssen die Scheuchen im Auge behalten. Zwei von uns müssen nach vorne und zwei nach hinten schauen. Dann können sie nicht näher kommen.«

     

Schnell einigten sich die Freunde darauf, dass Kyra und Nils nach vorne blickten, während Lisa und Chris die hintere Scheuche beobachteten. Auf diese Weise näherten sie sich langsam, aber unbehelligt der mächtigen Eichenwurzel.
    Nils begann als Erster den Aufstieg. Dabei musste er zwangsläufig auf die Wurzelstränge und seine Hände und Füße achten. Kyra wusste, dass sie jetzt nicht mit den Lidern schlagen durfte. Sie allein musste die beiden vorderen Scheuchen im Auge behalten – der Sekundenbruchteil eines einzigen Lidschlages würde den dämonischen Kreaturen genügen, um sie einzuholen.
    Nils kam oben an. Lisa folgte als Zweite. Dann Chris. Vom Rand des Grabens aus beobachteten sie die Scheuchen, sodass Kyra als Letzte heraufklettern konnte.
    »Das war knapp«, stöhnte Nils, als sie wieder alle beisammen waren.
    »Freu dich nicht zu früh«, sagte Chris. »Noch sind wir nicht hier weg. Und wer weiß, wie viele von denen sich in den Wäldern herumtreiben.«
    »Was jetzt?«, fragte Lisa.
    »Zu Wolfs Hof«, sagte Kyra.
    »Und dann?«, erkundigte Nils sich unwirsch. »Was, wenn uns dieser Boralus dort schon erwartet?«
    »Das will ich doch hoffen«, sagte Kyra kühl. »Wie sollen wir ihm sonst das Handwerk legen?«
    Lisa hatte manchmal das Gefühl, dass Kyra vergaß, dass sie noch keine Erwachsene war. Und erst recht keine erfahrene Hexenjägerin wie ihre Mutter. Sie war nur ein Mädchen, das die magischen Sieben Siegel trug. Wie sollten sie es mit diesem Boralus aufnehmen, wenn sie nicht einmal wussten, ob es überhaupt einen Weg gab, ihn zu bezwingen?
    Lisa sah Chris und Nils an, dass ihnen die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen. Aber sie wusste auch, dass ihre Freundin ein verflixter Dickkopf war. Und mit einem zumindest hatte Kyra Recht – für sie als Siegelträger war es nun einmal Pflicht und Fluch zugleich, sich Kreaturen wie Boralus entgegenzustellen.
    Rückwärts gehend, entfernten sie sich von dem schrecklichen Grab im Wald und behielten die drei Scheuchen so lange wie möglich in ihrem Blickfeld. Schließlich aber warfen sie sich herum und rannten los, rannten, so schnell sie nur konnten.
    Niemand hielt sie auf. Keine Scheuchen. Kein wutentbrannter Dämon.
    Boralus musste wissen, dass das nicht nötig war. Die vier kamen zu ihm. Er brauchte sich gar nicht mehr die Mühe zu machen, sie im Wald zu stellen.
    Es dauerte weitere zwanzig Minuten, ehe sie ihr Ziel erreichten.
    Die Nacht war endgültig hereingebrochen, als vor ihnen aus dem Dunkel der Hof auftauchte. Boralus’ Heimstatt. Das uralte Herz seiner Macht.
    Das Anwesen war nicht groß und sah heruntergekommen aus. Das Haupthaus wirkte schief und verzogen, an einer Stelle war ein Loch im Dach provisorisch mit Brettern abgedichtet worden. Die Oberfläche des Vorplatzes war von zahllosen Traktorspuren zerfurcht. Links davon erhob sich ein Stall in der Finsternis, aber es drangen keine Geräusche heraus – wahrscheinlich gab es hier schon lange kein Vieh mehr. Auch das Haupthaus wirkte verlassen. Hinter keinem Fenster brannte Licht.
    »Da drüben«, flüsterte Lisa und zeigte nach links. Dort lag, ein wenig abseits, eine große Scheune. Ihr hohes Doppeltor war geschlossen. Durch die Ritzen drang der sanfte Schein flackernder Kerzen.
    Kyra nickte. »Er muss da drin sein.«
    »Wer?«, fragte Nils. »Boralus oder Wolf?«
    »Dämonen brauchen keinen Kerzenschein«, behauptete Kyra.
    »Also Wolf«, sagte Chris nachdenklich. »Gehen wir rein?«
    »Deshalb sind wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher