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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten
Autoren: J. G. Ballard
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zu meistern, sah ich mich zu der Erkenntnis gezwungen, daß der junge Mann in Serenas Alter war und sie immer mehr mit ihm als mit mir gemein hatte. Oberflächlich gesehen verlief unser Leben weiterhin wie bisher – wir saßen im Arbeitszimmer zusammen, wenn ich aus dem Büro zurückkehrte, ich pflegte Serena in das Wohnzimmer zu tragen, wenn Freunde zu Besuch kamen, und sie leistete uns beim Abendessen Gesellschaft –, aber ich war mir bewußt, daß in unsere Beziehung ein formeller Ton gekommen war. Serena verbrachte die Nacht nicht mehr in meinem Schlafzimmer, und es fiel mir auf, daß ich trotz ihres ruhigen Lächelns nicht mehr den Blick ihrer Augen auffing, wie es früher der Fall gewesen war.
    Ungeachtet meiner wachsenden Befürchtungen kam der junge Friseur weiterhin zu uns. Durch welche Krise Serena und ich auch gingen, ich war entschlossen, mich nicht geschlagen zu geben. Während der langen Stunden seines Besuches mußte ich jede Sekunde mit mir kämpfen, damit ich nicht die Treppe hinaufstürzte. Aus dem Flur konnte ich oft seine Stimme in jenem einschmeichelnden Tonfall hören, lauter jetzt, als versuche er, mich aufzureizen. Wenn er ging, konnte ich seine Verachtung spüren.
    Ich brauchte eine Stunde, ehe ich langsam die Treppe hinauf zu Serenas Zimmer gehen konnte. Ihre außerordentliche Schönheit, durch die Schmeichelei des jungen Mannes verjüngt, steigerte meinen Zorn nur um so mehr. Unfähig zu sprechen, scharwenzelte ich um sie wie ein dem Untergang geweihter Ehemann, der winzigen Veränderungen in Serenas Gesicht gewahr. Wiewohl sie in jeder Hinsicht weit jugendlicher war und mich schmerzhaft an die dreißig Jahre erinnerte, die uns trennten, verlor ihr Gesichtsausdruck nach jedem Besuch einen Bruchteil an Naivität, wie der einer jungen Frau, die ihren ersten Seitensprung plant. Eine hochmoderne Welle modulierte jetzt den Schopf blonden Haares, der über ihre rechte Schläfe fiel. Ihre Lippen waren schlanker, der Mund stärker und reifer.
    Unausweichlich beging ich einen Seitensprung mit einer anderen Frau, der geschiedenen Frau eines engen Freundes, aber ich traf Vorsorge, daß Serena davon und von den anderen Seitensprüngen, die in den nächsten Wochen folgten, nichts erfuhr. Ich begann pathetischerweise auch zu trinken und saß an den Nachmittagen betrunken in den leeren Wohnungen meiner Freunde herum und führte lange Zwiegespräche mit Serena, bei denen ich gemein und aggressiv zugleich war. Daheim begann ich den diktatorischen Ehemann zu spielen, ließ sie den ganzen Abend in ihrem Zimmer oben allein und weigerte mich launisch, mit ihr bei Tisch zu sprechen. Die ganze Zeit über sah ich mit gelähmten Augen den jungen Friseur kommen und gehen, ein frecher Verehrer, der pfiff, wenn er die Stufen hinaufschlenderte.
    Nach dem letzten seiner Besuche kam es zur quälenden Lösung. Ich hatte den Nachmittag allein trinkend in einem verlassenen Lokal verbracht, vom geduldigen Personal beobachtet. Im Taxi nach Hause ging mir plötzlich ein verwirrendes Licht über Serena und mich auf. Ich erkannte, daß das Scheitern unserer Beziehung allein meine Schuld gewesen war, daß meine Eifersucht auf ihren harmlosen Flirt mit dem jungen Mann alles zu absurden Proportionen aufgeblasen hatte.
    Durch diesen Entschluß von Wochen der Agonie erlöst, bezahlte ich das Taxi vor meiner Tür, betrat das kühle Haus und stürzte nach oben. Mit zerzaustem Haar, aber glücklich, ging ich auf Serena zu, die ruhig inmitten des Wohnraumes saß, um sie zu umarmen und uns beiden zu verzeihen.
    Da bemerkte ich, daß ihr, ungeachtet ihres tadellosen Make-ups und extravaganten Haares, das Brokatkleid merkwürdig von den Schultern hing. Der rechte Träger enthüllte ihr Schlüsselbein, und das Mieder war nach vorn gerutscht, als hätte jemand an ihrer Brust herumgefummelt. Ihr Lächeln schwebte noch immer um ihre Lippen, als forderte es mich auf die sanfteste Weise auf, mich mit den Realitäten des Lebens eines Erwachsenen abzufinden.
    Zornig trat ich vor und schlug sie ins Gesicht.
Wie mir diese sinnlose Regung leid tut! In den zwei Jahren, die seitdem vergangen sind, hatte ich genügend Zeit, über die Gefahren einer voreiligen Katharsis nachzudenken. Serena und ich leben noch immer zusammen, aber zwischen uns ist alles aus. Sie sitzt auf dem vergoldeten Stuhl am Kamin im Wohnzimmer und kommt zu mir an den Eßtisch, wenn ich meine Freunde bewirte. Die äußere Schau unserer Beziehung ist jedoch nur mehr die
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