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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten
Autoren: J. G. Ballard
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der Ecke in sich zusammengefallen waren wie eine verwesende Hexe, und einer uralten Garnitur präparierter Elefantenfüße. Dieses annähernde Dutzend verstaubter Monolithe berührte mich besonders bitterlich, denn sie waren als einziges von einer einsamen Herde geblieben, die vor einem Jahrhundert wegen ihres Elfenbeins dahingeschlachtet worden war. Ich stellte sie mir vor, wie sie heimlich in meinem Wohnzimmer aufgestellt wurden und die Atmosphäre mit ihrer unsichtbaren, aber würdigen Anwesenheit füllten.
    Im Laden saß eine junge Verkäuferin hinter einem Intarsientisch und beobachtete mich, den Kopf zur Seite geneigt, als überlege sie geduldig, ob ich ein ernsthafter Interessent wäre. Dieses ganz und gar ungeschäftsmäßige Verhalten und ihre völlige Teilnahmslosigkeit, als ich den Laden betrat, hätten mich abschrecken sollen, aber ich stand bereits im Bann des ungewöhnlichen Aussehens der jungen Frau.
    Was mir zuerst auffiel und was das schäbige Innere des Ladens verwandelte, war die Pracht ihres Brokatkleides, das bei weitem die Mittel einer Verkäuferin an diesem heruntergekommenen Ende der King’s Road überstieg. Vor dem Hintergrund eines strahlenden blauen Feldes, eines Himmelblau von nahezu der Tiefe des Stillen Ozeans, wuchs das Muster aus Gold und Silber vom Boden zu ihren Füßen empor, so üppig, daß ich beinahe erwartete, das Kleid würde aufwallen und sie verschlingen. Im Vergleich dazu ragten ihr einsamer Kopf und die Schultern, der weiße Busen durch den tiefen Ausschnitt diskret ent hüllt, mit einer außerordentlichen Gelassenheit aus dieser glänzenden See, wie von einer gezähmten und häuslich gewordenen Aphrodite, die mit gespreizten Beinen gelassen auf Poseidon saß. Wiewohl kaum über neunzehn, war ihr Haar in eine absichtlich unmoderne Frisur gelegt, als habe es ein alter Fan der Filmzeitschriften der zwanziger Jahre liebevoll so arrangiert. Von diesem blonden Aufsatz umrahmt, waren ihre Züge mit derselben überschwenglichen Sorgfalt geschminkt und gepudert, die Augenbrauen gezupft und der Haaransatz erhöht, ohne jeden Sinn für Pastiche oder vorgetäuschte Nostalgie, vielleicht von einer exzentrischen Mutter, die immer noch von Valentino träumte.
    Ihre kleinen Hände ruhten in ihrem Schoß, anscheinend gefaltet, aber in Wahrheit durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, eine stilisierte Pose, die andeutete, daß sie versuchte, einen Augenblick der Zeit festzuhalten, der sonst vielleicht entschlüpfte. Um ihren Mund lag ein schwaches Lächeln, nachdenklich und beruhigend zugleich, als hätte sie sich wie ein Erwachsener mit der entschwindenden Welt dieses dahinsterbenden Kuriositätenladens abgefunden.
    »Es tut mir leid, daß Sie den Laden schließen«, bemerkte ich zu ihr, »diese Garnitur Elefantenfüße im Schaufenster – sie haben so etwas Anziehendes an sich.«
    Sie erwiderte nichts. Ihre Hände blieben, einige Millimeter voneinander entfernt, gefaltet, und ihre Augen starrten wie in Trance artig auf die Tür, die ich hinter mir geschlossen hatte. Sie saß auf einem merkwürdig konstruierten Stuhl, einem Dreibein aus lackiertem Teak, das zum Teil Verkaufsstand, zum Teil Staffelei eines Malers war.
    Da ich merkte, daß es sich um eine Art chirurgischer Prothese handelte und sie daher möglicherweise ein Krüppel war – daher das komplizierte Make-up und die erstarr te Haltung –, beugte ich mich hinab, um sie neuerlich anzusprechen.
    Da bemerkte ich das Messingschild, das oben auf dem Dreifuß aus Teakholz angebracht war, auf dem sie saß.
    SERENA COCKAYNE
    An dem Schild klebte eine staubige Preisauszeichnung:
    »£ 250«.
    Im Rückblick ist es merkwürdig, daß ich so lange brauchte, um zu erkennen, daß ich nicht auf eine wirkliche junge Frau blickte, sondern auf eine kunstvolle Puppe, ein Meisterwerk der Puppenmacherkunst, hergestellt von einem bemerkenswerten Virtuosen. Dies erklärte zumindest das Kleid und die Perücke aus der Zeit König Edwards, die Schminktechnik der zwanziger Jahre und den Gesichtsausdruck. Nichtsdestoweniger war die Ähnlichkeit mit einer wirklichen Frau unheimlich. Die leicht gebeugten Umrisse der Schultern, die allzu perlweiße und reine Haut, die paar Haarsträhnen am Halsansatz, die der Aufmerksamkeit des Perückenmachers entgangen waren, die unheimliche Zartheit, mit der Nasenlöcher, Ohren und Lippen modelliert worden waren – beinahe wie durch einen körperlichen Liebesakt –, alles zusammen bildete eine Tour de force, so
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