Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten
Autoren: J. G. Ballard
Vom Netzwerk:
unternahm, um den Eindringling aufzuspüren. Ihr aggressives Verhalten, ihr ständiges Pfeifen, während sie die Fernsehschirme reinigte, und ihr wachsendes Interesse an Pangborn unterschieden sich von allem, mit dem er bisher fertigwerden mußte.
    Die uniformierten Frauen, die die Firma zur Wartung der Apparaturen im Solarium schickte, waren von bemerkenswerter Verschwiegenheit und Effizienz gewesen. Wenn er an die zwölf Jahre zurückdachte, die er im Solarium verbracht hatte, konnte sich Pangborn kaum an ein einziges Gesicht erinnern. In Wahrheit war es das Fehlen jeder Art persönlicher Identität, die es den jungen Frauen erlaubte, ihren intimen Aufgaben nachzugehen. In der Stunde ihres ersten Besuchs war es der Neuen gelungen, die Tunerregelung seines Hauptbildschirmes zu beschädigen und Pangborn mit ihrem übelgelaunten Blick aus der Fassung zu bringen. Ohne diese unbestimmte und beunru higende Kritik seiner Person hätte Pangborn den Eindringling viel früher erkannt und die seltsamen Konsequenzen vermieden, welche die Folge waren.
    Zu der Zeit hatte er im Stuhl mitten im Solarium gesessen, hatte sich in dem warmen künstlichen Licht gesuhlt, das durch die Deckenöffnungen hereinströmte, und sich auf dem Hauptbildschirm die Szenen in der Dusche aus »Psycho« angesehen. Die Brillanz dieser Tour de force erstaunte Pangborn immer wieder aufs neue. Er hatte diese Szenenfolge schon hunderte Male ablaufen lassen, bei jedem Bild den Film gestoppt und das Bild in Vergrößerung angesehen, hatte Teile der Handlung getrennt aufgezeichnet und sie auf dem Dutzend kleinerer Schirme um den Hauptbildschirm abgespielt. Das außerordentliche Verhältnis zwischen der Geometrie der Duschkabine und der Anatomie des Körpers der Ermordeten schien der Schlüssel zur wahren Bedeutung von allem in Pangborns Welt zu sein, zur unausgesprochenen Verbindung zwischen seiner eigenen Muskulatur und der blitzblanken Glas- und Chromwelt des Solariums. In rauschhafteren Augenblikken war Pangborn davon überzeugt, daß die Geheimformel seines Besitzes an Zeit und Raum irgendwo innerhalb des endlos ablaufenden Filmstreifens enthalten war.
    So sehr war er in den geheimnisvollen Höhepunkt der Szenenfolge versunken gewesen – das sich umwendende Gesicht der Schauspielerin drückte sich gegen den verfliesten Boden mit seinem rechteckigen Muster –, daß er anfänglich das schwache Geräusch eines nahen Atmens nicht wahrnahm, die halbvertraute Ausdünstung eines Menschen.
    Pangborn wandte sich in seinem Rollstuhl um, in der Erwartung, jemand stünde hinter ihm, vielleicht einer der Lieferanten, welche die Küche und die Treibstofftanks des Solariums versorgten. Nach zwölf Jahren Alleinlebens hatte Pangborn festgestellt, daß seine Sinne geschärft genug waren, um die Anwesenheit einer einzelnen Fliege wahrzunehmen.
    Er schaltete den Film auf den Fernsehschirmen aus, schwang den Stuhl herum und wandte den Schirmen den Rücken zu. Das runde Zimmer war so leer wie das vorhanglose Badezimmer und die Küche.
    Die Luft hatte sich jedoch bewegt, irgendwo hinter ihm hatte ein Herz geschlagen, hatten Lungen geatmet.
    In diesem Augenblick wurde ein Schlüssel im Eingangsflur umgedreht, die Glastür wurde von einem ungeschickt getragenen Staubsauger aufgeknallt, und Vera Tilley trat zum ersten Mal auf.
Trotz seiner Vertrautheit mit dem elektronischen Abbild der nackten Filmschauspielerin hatte Pangborn seit mehr als zehn Jahren keiner wirklichen Frau ins Gesicht gesehen. Von dem unerwarteten Eindringling noch immer irritiert, sah er zu, wie das uniformierte Mädchen den Staubsauger auf den Teppich plumpsen ließ und in ihrem Werkzeugkasten herumkramte. Sie war kaum zwanzig, hatte das widerspenstige Blondhaar in die Kappe zurückgeschoben und hatte ihren ohnehin großen Mund und die großen Augen höchst ausgefallen geschminkt. An ihrem Revers trug sie eine Erkennungsmarke – unter dem Firmenschild waren der Name »Vera Tilley« und ein Photo angebracht, auf dem sie mit frechem Schmollen in die Kamera starrte.
    Sie starrte jetzt Pangborn und das Solarium in derselben herausfordernden Art an.
    »Wenn Sie bereit sind, können Sie anfangen«, sagte Pangborn zu ihr. »Ich bin im Augenblick beschäftigt.«
    »Das sehe ich.« Das Mädchen beäugte die Schirmanordung, die riesigen Vergrößerungen der toten Augen der Schauspielerin waren wie ein elektronisches Altarbild von den vergrößerten Ausschnitten ihres Körpers auf dem kleineren Schirm umgeben. Mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher