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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten
Autoren: J. G. Ballard
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erkannte er, daß er während ihres Besuchs nackt gewesen war. In das unaufhörliche Licht des Solariums getaucht, hatte er schon vor Jahren aufgehört, auch nur ein Hüfttuch zu tragen. So fern und anonym waren die Servicefrauen, die die Firma gewöhnlich schickte, daß er keine Verlegenheit empfand, wenn sie um ihn herum ihren Tätigkeiten nachgingen.
    Vera Tilley hatte es zustande gebracht, daß er zum ersten Mal seiner selbst gewahr wurde. Zweifellos hatte sie bemerkt, daß sie ihn erregt hatte. Pangborn versuchte, den Gedanken an sie beiseite zu schieben, stellte die Stuhlleh ne steiler ein und konzentrierte sich auf die Fernsehschirme vor ihm. Durch das warme Licht beruhigt, das über seinen bronzefarbenen Körper floß, schaltete er die öffentlichen Kanäle aus und kehrte zu seiner Analyse von »Psycho« zurück. Die Geometrie der nackten Schauspielerin, die auf dem Boden der Dusche hingesunken lag, war für ihn ein unerschöpflicher Quell des Interesses wie die abstrakteste aller Musiken, und nach ein paar Minuten war er imstande, die Lehne des Stuhls zurückzustellen. Vera Tilley und der geheimnisvolle Eindringling waren vergessen.
    Während der zwölf Jahre im Solarium hatte Pangborn nie die lichterfüllte Kammer verlassen, und in jüngster Zeit hatte er sich kaum auch nur aus dem Stuhl erhoben. In den paar Minuten jeden Tag, in denen er gezwungen war, im Badezimmer zu stehen, fühlte er sich merkwürdig schwer und plump, sein Körper eine ungeschlachte Masse überflüssiger Muskulatur, als hätte sie ein miserabler Bildhauer auf dem zarten Gestänge seiner Knochen aufgehängt. Als er sich im Stuhl zurücklehnte, fiel es ihm schwer zu glauben, daß die geschmeidige Bronzegestalt, die von der Monitorkamera auf die Schirme vor ihm projiziert wurde, derselbe zittrige Invalide war, der ihm aus dem Badezimmerspiegel entgegensah. Soweit es nur ging, blieb Pangborn im Stuhl, rollte sich in die Küche, bereitete seine Mahlzeiten im Sitzen zu und schuf sich in gewisser Weise eine kleine zweite Welt innerhalb des privaten Universums des Solariums.
    Diese kugelförmige Kammer, in der er sein ganzes Leben verbracht zu haben schien, im Schlafen und im Wachen, erfüllte nun alle seine Bedürfnisse, sowohl die körperlichen wie die psychologischen. Die Kammer war gleichzeitig Turnsaal und Schlafzimmer, Bibliothek und Arbeitsplatz (auf dem Papier war Pangborn Fernsehkritiker, buchstäblich das einzige Handwerk – abgesehen von den Serviceleuten – in einer Gesellschaft, in der alles übrige von der Maschine besorgt wurde). Auf der hinteren Wand des Solariums befand sich eine Gruppe von Übungsgeräten, mit denen er jeden Tag eineinhalb Stunden lang trainierte, während er im Stuhl saß.
    Das Badezimmer verfügte auch über einen speziellen Schrank mit einer Vielfalt sexueller Vorrichtungen, aber seit Jahren fühlte sich Pangborn von dem Gedanken abgestoßen, sie zu benutzen – er mußte sich dann auf eine beunruhigende Weise mit den Tatsachen seines eigenen Körpers beschäftigen. Er empfand denselben Widerwillen gegen die psychologischen Instandhaltungsgeräte, von denen es hieß, daß sie jeder jeden Tag zumindest eine Stunde lang auf den Fernsehschirmen laufen lassen sollte – simulierte Streitigkeiten und Aussöhnungen mit seinen Eltern, Intelligenz- und Persönlichkeitstests und ein ganzes Sortiment psychologischer Spiele, Westentaschendramen, in denen er die Starrolle spielen konnte.
    Das begrenzte Repertoire dieser Scharaden hatte Pangborn bald zu langweilen begonnen. Phantastik und Phantasie hatten in seinem Leben immer eine geringe Rolle gespielt, und er fühlte sich nur im Rahmen des absoluten Realismus daheim. Das Solarium war ein voll ausgerüstetes Fernsehstudio und Pangborn gleichzeitig Star, Drehbuchautor und Regisseur einer endlosen Fernsehreihe fürs Heim, die von weit größerem Interesse war als die Programme, die die öffentlichen Kanäle zu bieten hatten. Die Nachrichtensendungen befaßten sich jetzt mit seinen eigenen Körperprozessen, dem Pulsschlag dieser Nacht, den steigenden und fallenden Kurven seiner Temperatur. Diese Bilder und die Analyse gewisser Schlüsselereignisse aus seiner Bibliothek von Spielfilmen schienen eine Art von profunder, wenn auch geheimnisvoller Verbindung aufzuweisen. Die seltsame Geometrie, die die Schauspielerin in ihrer Duschkabine beherrschte, lieferte einen Schlüssel zu jener absoluten Abstraktion seiner selbst, nach der er seit seiner Ankunft im Solarium gestrebt
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