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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten
Autoren: J. G. Ballard
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einem schiefen Blick auf Pangborns gepolsterten Körperformstuhl bemerkte sie: »Haben Sie es dort bequem? Kann man nichts für Sie tun?« Sie deutete mit einem schmutzigen Fingernagel auf die Kontrollkonsole an der Lehne des Stuhls. »Sie haben Knöpfe genug, um die Welt aufzuhalten.«
    Pangborn beachtete sie nicht, ließ den Stuhl rotieren und wandte sich wieder den Bildschirmen zu. In der nächsten Stunde, als er seine Analyse der Szenenfolge in der Dusche fortsetzte, dachte er noch immer an den Eindringling. Jetzt versteckte sich offensichtlich niemand im Solarium, aber die Anwesenheit dieses geheimnisvollen Besuchers hing vielleicht irgendwie mit der merkwürdigen jungen Frau zusammen. Er war fast geneigt zu glauben, daß sie ein neuer Typ von Stadtguerilla war. Er hörte ihr zu, wie sie in der Küche herumrumorte, die Apparate überprüfte und die Vorräte in den Nahrungsmittelspendern erneuerte. Ab und zu wurde ihr Pfeifen durch einen ironischen Tonfall moduliert.
    Nach der Reinigung des Bades kam sie zurück und stellte sich zwischen Pangborn und die Bildschirme. Er konnte sein Kölnischwasser auf ihren Handgelenken riechen.
    »Zeit, das lebenserhaltende System abzuschalten«, sagte sie gutgelaunt. »Können Sie fünf Minuten aus eigener Kraft überleben?«
    Pangborn wartete ungeduldig, während sie jeden der Fernsehapparate von der Wand schwingen ließ und am Schaltkasten drehte. Als er der jungen Frau beim Arbeiten zusah, wie sie vor ihm auf dem Teppich kniete, kam er sich merkwürdig verletzlich vor. Ihr Atmen, die üppigen Schenkel, die derbe Vitalität ihres Körpers weckten in ihm den Wunsch, daß es möglich sei, auf die Notwendigkeit, das Solarium weiter in Betrieb zu halten, zu verzichten. In den letzten fünfzehn Jahren hatte er enthaltsam gelebt, und seine durcheinandergeratenen Gefühle brachten ihn aus der Fassung. Er zog die sicheren Wirklichkeiten des Fernsehschirms den endlosen bizarren Fiktionen des Alltagslebens vor. Gleichzeitig weckte Vera Tilley sein Interesse. Er dachte wieder an den Eindringling.
    »Bis nächste Woche«, sagte sie, als er ihre Arbeitsstunden bestätigte. Während sie ihren Koffer packte, betrachtete sie ihn besorgt. »Langt es Ihnen nicht manchmal, diese alten Filme zu betrachten? Sie sollten ab und zu ausgehen. Mein Bruder hat ein Taxi, falls Sie mal eins brauchen.«
    Pangborn bedeutete ihr zu gehen, den Blick auf den Badezimmerboden und die seltsamen Umrisse der Backenknochen der Filmschauspielerin gerichtet. Als aber die Tür aufging, rief er: »Was ich fragen wollte – als Sie kamen, wartete da jemand draußen?«
    »Nur wenn er unsichtbar war.« Verwundert über Pangborns absichtlich beiläufigen Tonfall, wog sie den Koffer in ihrer kräftigen Hand, als wollte sie den Schraubenzieher herausnehmen und seine überaktiven Bildkontrollen regulieren. »Sie sind hier allein, Mr. Pangborn. Vielleicht haben Sie einen Geist gesehen –«
    Als sie fort war, lehnte sich Pangborn im Stuhl zurück und ließ die öffentlichen Nachmittags-Fernsehprogramme eines nach dem anderen an sich vorbeiziehen. In ihrer ungestümen Art hatte das Mädchen den Hauptbildschirm verstellt und alles mit einem zeitweise auftretenden Störungsmuster gesprenkelt, aber diesmal war Pangborn im stande, es nicht zu beachten. Er drehte den Ton ab und sah zu, wie Dutzende Programme tonlos vorbeizogen.
    Von neuem, unverkennbar, merkte er, daß jemand in der Nähe war. Die schwache Stimme eines anderen Menschen hing im Raum, die Witterung eines ungewohnten Körpers. Im Solarium gab es einen merkwürdigen, aber keineswegs unangenehmen Geruch. Pangborn ließ von den Bildschirmen ab und fuhr mit dem Rollstuhl in der Kammer umher, untersuchte die Küche, den Flur und das Badezimmer. Er konnte erkennen, daß das Solarium leer war, aber gleichzeitig war er davon überzeugt, daß ihn jemand beobachtete.
    Das Mädchen, Vera Tilley, hatte ihn auf eine Weise aus der Fassung gebracht, die er nicht erwartet hatte. Seine ganze Erfahrung, die Jahre, die er vor den Fernsehschirmen verbracht hatte, hatten ihn keineswegs für eine, wenn auch noch so kurze Begegnung mit einer wirklichen Frau vorbereitet. Das, was man einst die »reale« Welt genannt hätte, die stillen Straßen draußen, die privaten Siedlungen mit Hunderten ähnlicher Solarien unternahmen keinen Versuch, in Pangborns private Welt einzudringen, und er hatte nie die Notwendigkeit verspürt, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
    Als er an sich hinunterblickte,
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