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Sieben Leben

Sieben Leben

Titel: Sieben Leben
Autoren: A Aschberg
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Mitleidenschaft gezogen werden konnte. Der Farbausdruck mit
meinen Terminen war kaum mehr zu lesen.
    So viel zu Thema süß. Mutter Heidi winkte mit ihrer
manikürten Hand einmal kurz in meine Richtung, wobei nicht klar war, ob sie
damit eine Art Entschuldigung andeuten wollte, oder ihren kleinen Liebling vor
einem unsensiblen Grobian wie mir, der unschuldige Kinder erschreckte, in
Schutz nahm. Dann waren die beiden auch schon in Richtung Foyer verschwunden.
    Falls Simpson die kleine Episode beobachtet hatte, ließ er
es sich nicht anmerken, sondern beschäftigte sich im Hintergrund hingebungsvoll
mit dem Aufeinanderstapeln mehrerer staubbedeckter Kisten, wozu wiederum eine
Position direkt vor dem riesigen Ventilator notwendig war. Er schien dabei
völlig ohne To-Do-Liste, Terminplan oder ähnliche Hilfsmittel auszukommen.
Faszinierende Arbeitsweise.
    Ich nippte an meiner Cola Zero und fragte mich, wo
eigentlich der Sinn lag, eine Cola zu entwickeln, die nicht wie Cola schmeckte?
Und wo lag der Sinn, ausgerechnet den Zucker aus dem Rezept zu entfernen,
wahrscheinlich die gesündeste Zutat, die in dem Gesöff drin sein mochte? War es
sinnvoll, das Zeugs zu trinken?
    Ich nahm noch einen Schluck. Hmm, gar nicht so übel.
    Ich glaube, ich hatte Kinder wirklich gern. Selbst diese
kleine Rotznase, die mir gerade gründlich die Unterlagen eingeweicht hatte, war
irgendwie süß gewesen. Irgendwie waren sie alle süß. Gut, ehe man es sich
versah, waren 20 Jahre rum, und die Kleine stolzierte als neue Heidi mit
wehender Mähne und messerscharfen Absätzen die Straße entlang und verdrehte den
Männern reihenweise den Kopf, ohne den eigenen dabei auch nur andeutungsweise in
deren Richtung zu bewegen. In 20 Jahren waren Mädels wahrscheinlich selbst bei
einer so belanglosen Tätigkeit wie einfach gut aussehen gleichzeitig permanent
online, mit Kommunikationsimplantaten in Mund und Ohren, die beste Freundin auf
Kurzwahl über ein Zupfen am Ohrläppchen erreichbar, und unter der Kopfhaut eine
kleine Applikation, mit der man auf Knopfdruck die Haarfarbe wechseln konnte. Aber
selbst das war irgendwie süß, und der Weg dahin sicher spannend. Ich ertappte
mich bei der neugierigen Frage, warum ich nicht eine eigene kleine Heidi hatte,
um das Ganze aus nächster Nähe zu erleben? Oder meinetwegen auch einen kleinen
Kevin oder Julius-Hieronymus oder wie moderne Kinder heute so hießen?
    Andererseits – ich war gerade erst frisch verheiratet. Ein
Wunder, dass wir es überhaupt vor den Traualtar geschafft hatten, bei all den
Terminen.
    Meine Frau und ich arbeiteten beide im gleichen Versicherungskonzern.
Ich als Geschäftsführer. Das war witzig, denn vor vielen, vielen Jahren hatte
ich den Einstieg in mein Berufsleben ebenfalls als Geschäftsführer begonnen.
Damals durch eine unwahrscheinliche Mischung aus Zufall, Verwechslung und
Vorwitzigkeit, die sich dann auch nur ein knappes Jahr lang als tragfähig
erwies. Lange genug immerhin, um mich unmerklich aber unwiederbringlich von dem
Ziel wegzuführen, dessen Verfolgung mich überhaupt erst in die Situation
gebracht hatte, Banderolen für Konservendosen zu bedrucken, nämlich der
unbändige Wunsch, Schriftsteller zu werden. Bestseller-Autor, um genau zu sein.
    Ich blickte mich versonnen um. Wenn ich jetzt
Bestseller-Autor wäre, würde ich mich bestimmt von der einzigartig
authentischen Atmosphäre dieses Hinterhofs inspirieren lassen. Und ich würde
Bart Simpson etwas ganz Verrücktes tun lassen. Verrückt auf den ersten Blick,
tiefsinnig und allegorisch auf den zweiten. Ich sah zu Bart hinüber. Er schien
mir weder verrückt noch tiefsinnig. Mit stoischer Ruhe, mir den Rücken halb
zugekehrt, schickte er sich an, einige Metallteile mit einem Lappen zu
polieren. Auch das offensichtlich eine Tätigkeit, die nur in unmittelbarer Nähe
des Ventilators durchgeführt werden konnte, der im gesamten Gebäudekomplex eine
murmelnde Klangkulisse erzeugte, die kein Feng Shui Berater besser hinbekommen
hätte.
    Langsam senkte sich die Dämmerung über den Hof.
    Ich hatte bei der Versicherung zunächst im Innendienst
begonnen, weil mir nach mehreren Jobs mit exzessiver Reisetätigkeit nach etwas Ruhe
gewesen war. Die wollte ich nutzen, um unter anderem ausgiebig mit netten
Kolleginnen zu flirten, an denen erfreulicherweise im Innendienst kein Mangel
herrschte. Meine Freundin hatte mich kurz zuvor abserviert, und ich mußte den
Blues loswerden.
    Aber im Grunde war ich kein besonders guter Flirter.
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