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Sieben Leben

Sieben Leben

Titel: Sieben Leben
Autoren: A Aschberg
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Stille   noch geräuschvoll unterstrich.
    Ich brauchte einen Moment um herauszufinden, warum das so
war. Dieser Innenhof hatte keinen direkten Zugang zur Straße. Er war von allen
vier Seiten von gelben Wänden umgeben. Sieben Stockwerke, die Fenster durch
weiße Umrandungen schlicht und würdevoll abgesetzt. Der einzige Weg in den Hof
führte durch das Gebäude. An der Kopfseite gab es einen Zugang vom Foyer her
und auf der gegenüberliegenden Seite einen zweiten Zugang von und zu den
Hotelzimmern. Eine dritte Tür saß in einer Seitenwand und war verschlossen,
wahrscheinlich ging es da zur Küche.
    Die ganze Woche über hatte es geregnet, ohne dass die
Niederschläge den Mumm gehabt hätten, die bleierne Schwüle wirkungsvoll
auszutreiben. Der Sommer kam dieses Jahr daher in den Geschmacksrichtungen englischer Landregen , asiatischer Tröpfchenschleier oder Monsun . Hauptsache feucht. Heute war das
anders. Zum ersten Mal seit Langem kündigte sich so etwas wie ein lauer
Sommerabend an.
    Deshalb saß ich auch hier draußen im Innenhof meines Hotels
auf einer gemütlichen kleinen Bank und drückte mich in die sauberen, weichen
Polster. Vor mit ein Tischchen mit einer Cola Zero und zwei kleinen Sesseln,
von denen ich einen spontan mißbrauchte, um die Füße hochzulegen, besockt
selbstverständlich, die Schuhe hatte ich feinsäuberlich preußisch akkurat neben
meiner Bank auf dem Boden plaziert.
    Das Hotel hatte vier oder fünf solcher Sitzgruppen auf einer
kleinen Rasenfläche verteilt, die von einem schlichten Steinmosaik eingerahmt
und von ockerfarbenen Sonnenschirmen überspannt wurde. Die hatten zwar die
letzten Wochen vornehmlich als Regenschirme Dienst geschoben, was aber der mediterranen
Stimmung, die das Ensemble verbreitete, keinen Abbruch tat. Besonders heute
abend, wo sich zumindest über der Spree die Sonne gegen die triefenden
Wattebäusche am Horizont durchgesetzt hatte. Als ich am Morgen am Neckar in den
Flieger gestiegen war, hatte es dort noch in Strömen gegossen.
    Ich hatte jede Menge zu tun, also hatte ich an mein
lauschiges Plätzchen eine ganze Mappe mit Schriftstücken und Notizen
mitgenommen. Außerdem meinen Terminkalender. Genauer gesagt einen Ausdruck
meines Terminkalenders für die nächste Woche. Natürlich hatte ich in
Wirklichkeit einen virtuellen, elektronischen Terminkalender, an den alle
möglichen Menschen per Mail Terminanfragen senden konnten und aus dem heraus
ich meinerseits alle möglichen Menschen mit Terminanfragen malträtieren konnte.
Natürlich konnte man den Kalender in seiner elektronischen Form nicht
vernünftig lesen, nicht auf dem Bildschirm, und schon gar nicht auf einem der
vielen kleinen digitalen Helferchen, die man überall mit sich herumschleppte,
um allzeit Zugriff auf alles Mögliche zu haben. Also druckte meine Sekretärin
das Ganze jeden Morgen in Farbe aus und drückte es mir in die Hand. Gottlob
hatte sich die Schreckensvision vom papierlosen Büro nicht bewahrheitet. Ich
wäre sonst ganz schön aufgeschmissen gewesen.
    Unter all den Menschen, die über Terminvereinbarungen
Einfluß auf mein Leben zu nehmen suchten, nahm meine Sekretärin eine
herausgehobene Stellung ein. Sie führte einen heroischen Kampf gegen die
ständig zunehmende Effektivität unserer Kommunikationsprozesse im allgemeinen
und der Terminkalendersoftware im speziellen, mit nichts weiter bewaffnet als
einer gesunden Portion Menschenverstand und einem Mauszeiger, den sie ohne
Rücksicht auf die Größe des jeweiligen Bildschirmfensters vollkommen blind über
dem „Ablehnen“-Knopf im Terminanfragenmenü plazieren konnte, um dann mit einem
kurzen Klick meinem Arbeitstag ab und an einen Sonnenstrahl durch das dicht
wuchernde Termingeflecht zu gönnen, wohlwissend, dass dieser virtuelle Dschungel
die gleiche unangenehme Eigenschaft besaß, wie die Drachen, mit denen sich die
Helden in grauer Vorzeit herumschlagen mußten: Sowie man einen Termin abschlug,
wuchsen zwei neue nach. Aber wirtschaftlich gesehen hatte es ja auch sein Gutes,
zumindest insoweit, als dass im Schatten dieses gigantischen Mißverständnisses
zwischen Effektivität und Effizienz mit der Entschleunigungsindustrie ein
völlig neuer, genauso gigantischer Markt das Licht der Welt erblickt
hatte.  
    Mein Blick fiel auf die Terminleiste des morgigen Tages. Ich
war immer auf dem Sprung. Zweimal war ich für kurze Zeit sogar an mehreren
Orten gleichzeitig eingeplant, und selbst für den abendlichen Weiterflug an den
Main
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