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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
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Ähnliches zu empfinden. Sie ging durch alle Räume und schaute sich um, öffnete hier einen Rollladen und schaute dort in einen Schrank. Ich musste an jene Putzmittelreklamen denken, in denen die Frau überraschend von einer Reise nach Hause kommt und der Mann im letzten Moment mit Hilfe eines Wundermittels das ganze Haus sauber macht. Dann gehen die beiden durch das Haus, und die Frau schaut sich bewundernd um und küsst den Mann mit dem wissenden Lächeln, dass die Sauberkeit nur Meister Proper zu verdanken ist. Sieht gut aus, sagte Sonja und küsste mich.
    Sophie brauchte einige Tage, bis sie wieder mit uns vertraut war. Anfangs zog sie sich oft zurück und kam nicht, wenn wir sie zum Essen riefen, und beklagte sich über alles Mögliche. Dauernd bettelte sie nach der Katze, und wenn wir sie vertrösteten, fing sie an zu weinen. Wir erklärten ihr die Situation, so gut wir konnten, aber sie hörte nicht zu und verschwand wieder in ihrem Zimmer, wo sie nichts Bestimmtes zu machen schien, sondern nur vor sich hin brütete. Allmählich wurde es besser, wir unternahmen kleine Ausflüge, sie fing an, von der Schule zu erzählen, wo es ihr gut gefiel. Wir hatten die Feiertage bisher immer bei unseren Eltern verbracht, aber in diesem Jahr sagten wir alles ab und blieben zu Hause.
    Wenn Sophie im Bett war, diskutierten wir über die Zukunft der Firma. Wir rechneten alles immer wieder durch, überlegten, wo wir noch Einsparungen machen könnten, schauten uns Wettbewerbsausschreibungen an. Leicht wird es nicht, sagte ich. Wir werden es schaffen, sagte Sonja, wir haben keine andere Wahl.
     
    Das erste Jahr war ein Kampf. Wir mussten uns um jeden kleinen Auftrag bemühen und zu Konditionen arbeiten, über die wir vor ein paar Jahren nur gelacht hätten, aber wir schafften es, den Insolvenzplan einzuhalten und die versprochenen Raten abzuführen. Wir machten bei Wettbewerben mit, und allmählich kamen auch wieder Aufträge herein, kleinere Projekte erst, eine Renovierung, ein Ferienhaus für Freunde von Sonjas Eltern. Wir arbeiteten jetzt mit einer viel kleineren Belegschaft und mit freien Mitarbeitern. Ein wenig fühlte ich mich wie in den ersten Jahren nach unserer Heirat, als wir jung waren und unerfahren und alles zum ersten Mal taten. Sonja und ich arbeiteten viel enger zusammen als vor der Krise, und auch unsere Beziehung bekam eine Vertrautheit, die sie lange nicht gehabt hatte. Wir redeten wieder öfter über Architektur, über grundsätzliche Fragen und darüber, was wir mit unserer Arbeit bezweckten. Alles schien gut zu werden, nur gelegentlich hatte ich das Gefühl, Sonja nicht genügen zu können. Sie hatte so hohe Ideale und Ziele, dass ich eine Enttäuschung für sie sein musste. Sie behandelte mich mit Nachsicht, aber manchmal bemerkte ich, wie sie mich mit kritischem Blick musterte. Wenn ich sie dann fragte, woran sie denke, schüttelte sie nur lachend den Kopf.
    Auch für Sophie nahmen wir uns mehr Zeit. Wir wurden Mitglied des Fördervereins der Waldorfschule, Sonja engagierte sich im Festvorbereitungskreis, der die jährlichen Frühlings- und Adventsfeiern organisierte, und ich half der Schulleitung bei der Planung einer neuen Heizzentrale.
    Ich hörte auf zu trinken, und zum ersten Mal seit Jahren machte ich wieder eigene Entwürfe. Ich wagte viel mehr als vorher, es war, als habe ich nichts mehr zu verlieren. Als ich wieder einmal in einem Bildband mit Entwürfen von Aldo Rossi blätterte, fiel mir ein Satz von ihm auf, der mir auf meine Situation zu passen schien. Die Welt zu verändern suchen, wenn auch nur in Bruchstücken, um so das zu vergessen, was wir nicht besitzen können.
    Nichts von meinen neuen Entwürfen wurde umgesetzt, aber das spielte keine Rolle, im Gegenteil, es bewahrte mich davor, Kompromisse machen zu müssen, und erlaubte mir, ganz frei und nur nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Ich fühlte mich seit langem wieder wie ein wirklicher Architekt, und das wirkte sich auch auf meine Arbeit auf den Baustellen aus.
    Sonjas Stil hatte sich verändert, sie hatte sich endgültig von ihren Vorbildern befreit und ihre eigene Sprache gefunden. Es mag zynisch klingen, aber es schien, als habe die Krise uns die Augen geöffnet für neue Wege, nachdem wir uns während der Jahre des Erfolgs kaum weiterentwickelt und nur immer selbst imitiert hatten.
    Sonja schrieb einige Artikel für Fachzeitschriften und wurde zu Tagungen eingeladen und erhielt schließlich einen Lehrauftrag an der
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