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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
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und lächelte, dann war sie weg.
     
    An diesem Nachmittag war die Gläubigerversammlung. Sonja war nicht da, sie hatte viel zu tun in Marseille und hatte gemeint, sie könne auch nichts ändern. Die Insolvenzverwalterin hatte einen Plan ausgearbeitet. Sie versprach den Gläubigern fünfzehn Prozent der geschuldeten Beträge. Wenn ich die Firma abwickle, kriegen Sie keine fünf, sagte sie. Ihr Optimismus hatte etwas Ansteckendes. Trotzdem war die ganze Angelegenheit demütigend. Ob ich nun schuld war oder nicht, ich hatte diese Leute um ihr Geld gebracht, und sie ließen es mich spüren. Am meisten sperrte sich ein Papierwarenhändler gegen den Insolvenzplan. Es ging nur um eine verhältnismäßig kleine Summe, aber er spielte sich auf und machte mir Vorwürfe. Ich wurde wütend und wollte etwas erwidern, da legte die Verwalterin ihre Hand auf meinen Arm und flüsterte, sagen Sie nichts, er muss nur Dampf ablassen. Endlich kam es zur Abstimmung, und alle stimmten für die Annahme des Plans und für die Weiterführung der Firma.
    Noch vor dem Gerichtsgebäude rief ich in Marseille an. Sonja hatte auf meinen Anruf gewartet. Und, fragte sie, wie ist es gelaufen? Wir können weitermachen, sagte ich. Es war einen Moment lang still, dann sagte Sonja, sie habe mit Albert geredet, sie werde Mitte Dezember zurückkommen. Freust du dich? Ja, sagte ich, ich hätte das nicht mehr viel länger ausgehalten. Ich bin furchtbar müde.
     
    Eine Woche vor Weihnachten kam Sonja zurück. Ich holte sie mit einem Blumenstrauß am Flughafen ab. Wir setzten uns in ein Lokal im Ankunftsbereich und tranken Kaffee. Weißt du noch, wie du mich damals abgeholt hast?, fragte Sonja. Ich war überrascht, wie schön du warst, sagte ich. Sonja schlug die Augen nieder. Als sie mich wieder anschaute, sah ich, dass ihre Augen glänzten. Weinst du?, fragte ich. Sie sagte, sie habe in der Kathedrale in Marseille eine Kerze für uns angezündet. In dieser scheußlichen Kathedrale unten am Wasser? Sonja lächelte und nickte. Sie sei oft da gewesen in den letzten Monaten, habe sich einfach hineingesetzt und nachgedacht. Wirst du etwa fromm im Alter? Komm, sagte Sonja und stand auf, wir holen Sophie ab.
    Sie lachte, als sie den Wagen sah. Die fetten Jahre sind vorbei. Der ist gar nicht schlecht, sagte ich, er hat sogar eine Klimaanlage. Sonja sagte, die Farbe des Mercedes habe ihr ohnehin nie gefallen. Auf der Fahrt redeten wir nicht viel. Ich schaute nur dann und wann zu Sonja hinüber, und dann schaute auch sie mich an und lächelte.
    Sonjas Eltern erwarteten uns schon. Im Flur stand der kleine Koffer mit Sophies Sachen, daneben ein neues Kinderfahrrad und zwei oder drei Tüten mit Plüschtieren und anderen Geschenken, die Sonjas Eltern Sophie in den letzten Wochen gekauft hatten. Sophie saß im Wohnzimmer und schaute sich einen Trickfilm an. Als wir kamen, schaute sie nur kurz auf und sagte, ohne uns zu begrüßen, sie wolle den Film zu Ende sehen. Kommt, sagte Sonjas Vater und führte uns in sein Büro. Er setzte eine feierliche Miene auf und sagte, er werde unser Haus aus der Insolvenzmasse freikaufen. Er habe mit der Bank gesprochen und einen Preis ausgehandelt. Carla und Sonjas Mutter seien einverstanden. Was heißt das?, fragte Sonja. Dass die Grundpfandrechte gelöscht werden und dass es zu keiner Zwangsversteigerung kommt. Ihr könnt da wohnen bleiben. Irgendwann kriegt ihr mein Geld ja doch. Er stand auf und sagte, er mache es für Sophie. Ob uns aufgefallen sei, wie musikalisch sie sei, wir sollten sie unbedingt ein Instrument lernen lassen.
    Auf der Fahrt nach Hause erzählte uns Sophie, dass Oma ihr ein Kätzchen versprochen habe. Wenn wir einverstanden seien. Sonja sagte, das könnten wir nicht so schnell entscheiden, ein Tier sei kein Spielzeug, wenn man es einmal habe, dann müsse man für es sorgen. Ob Sophie sich das zutraue? Das weiß ich doch, sagte Sophie mit genervter Stimme, Felicitas hat auch eine Katze. Und das Kistchen reinigen, sagte Sonja. Sie schaute kurz zu mir. Ich sagte, ich fände es keine gute Idee. Den ganzen Tag sei niemand zu Hause, die Katze wäre immer allein. Sie kann ja raus, sagte Sophie. Lass uns noch ein bisschen warten, sagte Sonja. Jetzt kommen wir erst einmal an, und dann sehen wir weiter. Sophie war beleidigt und sagte nichts mehr, bis wir in Tutzing angekommen waren.
    Ich hatte das Haus geputzt und das Altglas weggebracht. Als wir heimkamen, war es mir, als komme ich in ein fremdes Haus. Sonja schien etwas
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