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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
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hoch und sagte, sie habe Hunger, ob sie Spaghetti kochen solle für uns alle. Als keiner von uns eine Antwort gab, verschwand sie und kam kurz darauf mit Sophie zurück, die ihre Katze auf dem Arm hatte und uns eingeschüchtert ansah. Wir zwei gehen jetzt was essen, sagte Antje mit gespielter Munterkeit. Sonja und ich redeten erst weiter, als wir die Haustür ins Schloss fallen hörten.
    Und was ist mit Sophie?, fragte ich. Es lässt sich immer eine Lösung finden, sagte Sonja. Du musst denken, ich bin ein egoistisches Scheusal. Nein, sagte ich, das denke ich nicht. Sie will nicht nach Marseille. Sonja nickte, ich weiß, vielleicht ist es besser, wenn sie bei dir bleibt. Sie zögerte. Wir werden ihr sagen müssen, dass ich nicht ihre Mutter bin. Ich schaute sie fragend an. Sie hat ein Recht darauf, sagte Sonja. Und wenn sie ihre Mutter kennenlernen will?, fragte ich. Es muss ja nicht gleich sein, sagte Sonja. Sie sagte, sie habe von Anfang an das Gefühl gehabt, es sei nicht recht, was wir machten. Warum hast du nie etwas gesagt?, fragte ich. Ich habe Angst gehabt, dich zu verlieren, sagte Sonja. Und jetzt verliere ich dich, sagte ich. Sonja schüttelte den Kopf. Sie sagte, wir würden gute Freunde bleiben. Viel werde sich nicht ändern. Sie zögerte. Dann fragte sie, ob ich vorhabe, mit Iwona zusammenzuziehen. Ich glaube, es war das erste Mal, dass sie ihren Namen aussprach. Nein, sagte ich, es ist vorbei. Ich wollte noch hinzufügen, dass ich Iwona nie geliebt habe, dass sie nie eine Konkurrenz gewesen sei für Sonja, aber ich war mir nicht sicher, ob es stimmte, und sagte nichts. Wer weiß, sagte Sonja und lächelte, als glaube sie mir nicht. Ich fragte, wann sie gehen wolle. Sie sagte, sie habe keine Eile. Wir hätten ja keinen Streit und es gebe auch keinen anderen Mann und sie müsse ohnehin erst alles organisieren, eine Wohnung finden und eine Stelle. Weihnachten feiern wir noch zusammen?, fragte ich, und plötzlich musste ich weinen. Ich habe gar nicht gewusst, dass du das kannst, sagte Sonja und legte mir den Arm um die Schultern und zog mich an sich. Es ist gut, sagte sie.
     
    Ich war erstaunt, dass Sonja nicht darauf bestand, Antje zum Flughafen zu bringen. Vielleicht wollte sie mit Sophie reden, während ich weg war, oder sie hoffte, Antje würde mir erklären können, was ihr nicht gelungen war. Aber Antje mied das Thema und redete von anderen Dingen. Erst als ich damit anfing, gab sie widerwillig Auskunft. Sie sagte, sie hätte keine Ahnung gehabt, dass Sonja sich von mir trennen wolle. Sie habe im Gegenteil das Gefühl gehabt, dass es wieder bessergehe mit uns beiden. Ich doch auch, sagte ich. Vielleicht hat sie aufgehört zu kämpfen, sagte Antje.
    Ich fragte sie aus über Sonjas Zeit in Marseille. Nein, sagte Antje, Sonja sei wenig ausgegangen. An jenem Abend, an dem ich sie nicht erreicht hatte, sei sie im Kino gewesen, allein. Wenn sie eine Affäre gehabt hätte, hätte Antje es bemerkt. Das würde dich beruhigen, nicht wahr? Das wäre doch wenigstens ein Grund. Ich fragte Antje, was sie an meiner Stelle tun würde. Sie gehen lassen. Du meinst, sie kommt von selbst irgendwann zurück? Antje schwieg. Und wenn ich auch nach Marseille ziehe? Es ist zu spät, sagte Antje.
    Ich musste an den Franzosen denken, den ich getroffen hatte, als ich ganz unten war. Auch er hatte gesagt, es sei zu spät. Es ist zu spät, hatte er gesagt, glücklicherweise. Vor drei Jahren hatte Sonja sich entschieden, mich zu verlassen, drei Jahre hatte sie bei mir ausgehalten, hatte die Wohlverhaltensperiode mit mir durchgestanden, immer im Wissen, dass sie mir entkommen würde, dass sie neu anfangen würde, wenn das Schlimmste vorbei wäre. Ich suchte in meiner Erinnerung nach Hinweisen, ich fragte mich, ob ich etwas hätte merken können. Aber Sonja hatte sich nicht verraten. Sie musste sehr einsam gewesen sein in dieser ganzen Zeit.
    Ich ließ Antje vor dem Flughafengebäude aussteigen. Macht es dir etwas aus, wenn ich nicht mit reinkomme?, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und nahm ihre Tasche vom Rücksitz. Ich schaute ihr nach, wie sie mit entschlossenen Schritten im Gebäude verschwand. Ich stellte mir vor, wie sie sich in Marseille ein Taxi nehmen und nach Hause fahren würde in eine leere Wohnung, wie sie in den Kühlschrank schauen und dann in irgendeiner Kneipe etwas essen würde. Wieder zu Hause, würde sie den Fernseher anstellen und eine Flasche Wein aufmachen oder die Post der letzten Tage durchsehen,
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