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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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Mitbürger ist irgendwie ein Auch-Bürger, aber weshalb denn Auch?
    Man probierte es mit typisch deutschen Wortkonstruktionen wie »Menschen nichtdeutscher Herkunftssprache«, »Personen ausländischer Herkunft« oder »Angehörigen einer in Deutschland ansässigen ethnischen Minderheit«. Die Länge der Wortkonstruktionen spiegelt das prekäre Verhältnis zu der Sachlage wider, die diese sprachlich zu fassen versuchten. Dann kam Migrant. Migrant sollte wertneutral klingen und keinerlei Assoziationen nach sich ziehen, nur Realitäten beschreiben, die keiner verleugnen will und darf. Migrant heißt ins Deutsche übersetzt so viel wie »Herumwanderer«, und angeblich bin ich ein solcher Migrant, eine Migrantin, um genau zu sein. Aber wandere ich herum? Oder wird mir nicht vielmehr unterstellt, herumzuwandern? Schließt dieser Begriff
nicht schon von vorneherein aus, dass ich auch bleiben könnte, bleiben möchte, angekommen bin? Ich bin gewandert, das stimmt. Ich bin nach Deutschland ausgewandert, um hierzubleiben. Jetzt wandere ich nicht mehr herum, ich finde es hier schön. Nicht alles, aber genug. (Und gerade diese Feststellung zeigt aus meiner Sicht, dass ich hier zuhause bin, dass Deutschland und ich eine gute Beziehung haben, eine Beziehung wie eine lange, gute Ehe: Man findet nicht alles am anderen gut, aber ziemlich viel, und immer genug, um die Beziehung fortzuführen.) Ich lebe in München und tue dies gerne. Ich kenne zig Menschen, die jedes Jahr umziehen, weil es in Frankfurt die besseren Jobs gibt, weil Berlin noch cooler ist als Hamburg, weil der neue Freund in Köln lebt. Sind das nicht Herumwanderer, Migranten? Ich hingegen bin spießig und bleibe, wo ich bin.
    Ein wenig später sprach man von Menschen mit Migrationshintergrund, um einen Namen für Menschen wie mich zu haben. Man gestand den Ausländern also mittlerweile zu, auch – oder in erster Linie – Mensch zu sein. Ein echter Fortschritt. Das befanden dann auch Wissenschaftler, Politiker, Öffentlichkeitsmacher für politisch korrekt, und der Begriff blieb, bis er wie eine ansteckende Krankheit um sich griff, sich verbreitete wie ein Virus. Jedermann erleichtert, sich endlich unproblematisch zu dieser problematischen Masse von Menschen äußern zu können, nicht für eine Sekunde in Erwägung ziehend, dass diese Menschen, für die man einen so schönen politisch korrekten Namen gefunden hatte, so heterogen sind, wie Gruppen es nur sein können. Aus verschiedenen Ländern, verschiedenen Kulturkreisen stammend, unterschiedliche Geschichten und Vergangenheiten mitbringend, unterschiedliche Wert- und Lebensvorstellungen, unterschiedliche Religionen und Bräuche, Sprachen erst recht, und der einzige gemeinsame
Nenner: ach ja, der Migrationshintergrund! Der übrigens nichts weiter bedeutet, als dass all diese Menschen eine Migration hinter sich haben und nun in Deutschland leben, aber bis auf die Tatsache, dass sie sich manchmal – und viele gar nicht – in der Ausländerbehörde (die übrigens nach wie vor so heißt) treffen, im Alltag nichts miteinander zu tun haben.
    Seit dem Mikrozensus 2005 erhebt das Statistische Bundesamt auch die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund und teilt seine Statistiken nebst in Männer und Frauen, Alte und Neue Bundesländer und ähnliche Kategorien in ein »mit« und ein »ohne« ein. Als Personen mit Migrationshintergrund definiert werden dabei »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«. Was bedeutet, dass es für diese Bezeichnung gar nicht notwendig ist, tatsächlich einen Migrationshintergrund zu haben, im Sinne von selbst herumgewandert zu sein. Es reicht, wenn die Vorfahren diese Aufgabe übernommen haben, auch: diese Erfahrung gemacht haben. Eine schöne Botschaft, die da mit diesem politisch korrekten Begriff versendet wird: Du bist hier geboren, du kennst – abgesehen von Urlaubserfahrungen – kein anderes Land, aber einer von uns bist du dennoch nicht. Nee, du hast da was. Was in deiner Biographie oder vielmehr der deiner Eltern. Einen Migrationshintergrund. Oder fällt jemandem spontan ein Satz ein, in dem Migrationshintergrund wie etwas Wünschenswertes, etwas Beneidenswertes klingt? Der Begriff ist so politisch korrekt, dass in ihm meist eine
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