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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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Von-wo-anders-Deutsche, Zweisprachler. Es waren Versuche dabei, den Wert der panglobalen Beute-Teutonen mit der Begriffswahl hervorzuheben wie mit Bereicherer oder Kulturbeweger, pragmatische Ausdrücke wie »präventive Genpoolerweiterungsmasse« oder »ethnisch gehandicapte Mitbürger«, zu lesen war in der Online-Umfrage aber auch: Kriminelle, Sozialschmarotzer, Untermenschen, Zurückzuführende, Auszuschaffende, Schnüffeldeutsche. Und einer schrieb: »Brauchen wir das?
Wir sollten das ersatzlos streichen. Mensch ist Mensch.« Ich blieb beim Lesen daran hängen, für einen Moment, ich mochte das auf den ersten Blick, schob den Autor auf den zweiten in die Naive-Gutmenschen-Schublade ab und ärgerte mich über mich selbst, dass ich darauf hereingefallen war. Erst auf den dritten Blick fiel mir auf, dass der naive Gutmensch, den ich nicht kannte und niemals kennenlernen würde, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch gar keiner war, nichts weiter notiert hatte als eine Tatsachenfeststellung: Mensch ist Mensch. Unabhängig von seiner Herkunft, unabhängig aber auch von der Betitelung, die wir ihm verpassen.
    Die Frage ist doch, was sagen all diese Begriffe über unsere Gesellschaft aus? Was für eine Gesellschaft, was für ein Land wollen wir sein? Wie definieren wir uns, wie sehen wir uns? Sehen wir uns zum Beispiel als eine Gesellschaft der Vielfalt? Vielfalt bedeutet, dass es viele gibt, und sie sind unterschiedlich, und das ist weder gut noch schlecht, das ist einfach so. Vielfalt schließt Unterschiedlichkeiten aller Dimensionen ein, es geht nicht nur um die Herkunft, die Religion, das Geburtsland. Zu einer Gesellschaft der Vielfalt gehören auch Homo- und Heterosexuelle, Liberale und Linke, Porschebesitzer und überzeugte Fahrradfahrer. Vielfalt ist eine Herausforderung für jede Gruppe, für jede Gesellschaft. Vielfalt ist nicht nur schön, einfach, weil es vielfältig, weil es bunt ist. Vielfalt ist anstrengend und stellt eine Gesellschaft immer wieder vor Probleme, bedeutet, dass die Teilnehmer und Teilhaber dieser Gesellschaft Wege finden müssen, sich diese zu teilen ebenso wie ihre Ressourcen, sie gemeinsam zu gestalten, sie so zu verändern, dass jeder sich darin zurechtfindet, damit zurechtkommt. Eine Gesellschaft der Vielfalt muss mit Verunsicherung umgehen können, denn Vielfalt schafft auch Verunsicherung, manchmal blendet sie einen gar vor lauter Buntheit,
Grellheit, und das muss sie dann wiederum auffangen können; und auch damit zurechtkommen können, dass zu einer Gesellschaft der Vielfalt auch diejenigen gehören, die diese vielleicht nicht gutheißen oder zumindest beängstigend finden.
    Ein anderes Wort für Vielfalt, da wir gerade bei Begrifflichkeiten sind, für die Vielfalt von Ideen und Lebensstilen, wäre Demokratie.
    Wenn man bereit ist, von Vielfalt zu sprechen, könnte man auch endlich über Diversität sprechen. Schon längst ist in der einschlägigen Fachliteratur anderer Länder von Diversität die Rede, während man bei uns immer noch zu Begriffen wie Integration, Migration greift. Wenn man von Diversität spricht, spricht man nicht vorrangig von Problemen. Man spricht nicht mit Angst in der Stimme, also mit der Angst zum Beispiel, jemand könnte sich der Integration verweigern. Die Fragestellung ist eine andere. Die Fragestellung ist eine positive, weil man nach dem Nutzen dieser Vielfalt, dieser Verschiedenheit fragt, weil man sie als Motor für gesellschaftliche Entwicklung begreift. Die Haltung dabei ist keine Erwartungshaltung, bei der die Mehrheit darauf wartet, dass sich die Minderheit anpasst. Die Haltung ist eine interessierte, in der es nicht um Mehr- oder Minderheiten geht, sondern darum, was jeder Einzelne mit seiner Herkunft, seinem Erfahrungsschatz zum großen Ganzen beitragen kann. Ein Ansatz, der von Unternehmen genutzt wird – Diversity Management ist da der Fachbegriff –, die ihren Gewinn maximieren wollen. Die nicht Probleme, die aufgrund von Vielfalt entstehen könnten, lösen wollen, sondern – das muss man sich noch einmal im Vergleich zu den Konnotationen von Begriffen wie »Ausländer« oder »Migrant« auf der Zunge zergehen lassen – ihren Gewinn maximieren wollen. Weil sie erkennen und davon profitieren – und zwar nicht etwa aus Mitmenschlichkeit,
sondern aus reinem Gewinnstreben –, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Fähigkeiten, Begabungen und Ideen mitbringen, die alle zusammen das Unternehmen weiterbringen. Das Konzept
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