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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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Dank. Ich bin jetzt beinahe einer von euch.
    Man versuchte es also über Jahre und Debatten hinweg mit Ausländer und Migrant und Mensch mit Migrationshintergrund und anderen fragwürdigen Wortkonstruktionen. Sie sollten alle möglichst wertneutral klingen und keinerlei Assoziationen nach sich ziehen, aber die Assoziationen des Ausländers kamen uneingeladen bei jedem neuen Begriff mit. Sprachwissenschaftler bezeichnen ein solches Phänomen als Euphemismus-Tretmühle: Jeder Euphemismus wird früher oder später die negative Konnotation seines Vorgängerausdrucks annehmen, solange die äußeren Verhältnisse gleich bleiben. Solange sich also in unseren Köpfen die Assoziationen, die wir mit diesem Thema verbinden, nicht ändern, solange die Verhältnisse, die Atmosphäre dieselbe bleiben, wird der unangenehme Beigeschmack nicht verschwinden. Solange der Begriff auch mit Sozialschmarotzern, Kopftuchträgerinnen, Kriminellen gleichgesetzt wird – trotz veröffentlichter Studien, die diesen Assoziationen widersprechen –, wird es nicht gelingen, die Neutralität, die Objektivität zu wahren, die notwendig wäre, damit man sich als Träger dieses Begriffs nicht gedemütigt fühlt. Oder wie viele von Ihnen denken beim Begriff
Migrationshintergrund an Studien wie die von SINUS Sociovision, eines Heidelberger sozialwissenschaftlichen Instituts, das Milieu-Studien betreibt und unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend damit beauftragt wurde, explizit Migranten-Milieus zu untersuchen und dabei zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Anteil von Leistungsträgern unter Migranten höher ist als in der gesamtdeutschen Bevölkerung? Oder wenigstens an Aussagen wie diese: »Die große Mehrheit der befragten Migranten will sich in die Aufnahmegesellschaft einfügen – ohne ihre kulturellen Wurzeln zu vergessen«, die das Resultat einer anderen Untersuchung sind? Und wie viele haben die Rütli-Schule in Neukölln im Kopf (natürlich nicht in ihrer neuen, reformierten Form, sondern als Problemschule der Republik von Terrorschülern mit Migrationshintergrund)? Jetzt mal ganz ehrlich …
    Nun könnte man sagen: Ach bitte, es kann doch nicht nur um Begrifflichkeiten gehen, wichtig ist, was geschieht. Aber Sprache ist etwas, das geschieht. Sprache ist der Spiegel unserer Gedanken, unserer Assoziationen, Sprache ist öffentlich und Öffentlichkeit, und Sprache bewirkt. Sie bewirkt Reaktionen, Gefühle, zieht Handlungen und Konsequenzen nach sich. Sprache kann abgrenzen und ausschließen, und Sprache kann wehtun. Denn neben dem negativen Beigeschmack hatten und haben all die Begriffe eines gemeinsam: Sie teilen ein. Machen ein »Wir« versus »Ihr« aus Deutschland. Machen auf die Unterschiede aufmerksam anstatt auf das Gemeinsame, auch wenn es innerhalb des »Ihrs« wahrscheinlich mehr Unterschiede gibt als zwischen »Wir« und »Ihr«. Wozu? Wer genau hat einen Nutzen von dieser, noch nicht einmal inhaltlich sinnvollen, weil pauschalisierenden Unterscheidung? Diese Abgrenzung reduziert uns alle auf eine Herkunft, für die wir letztendlich nichts können. Sie macht andere Konstellationen
von »Wir« und »Ihr«, wie zum Beispiel die »Wir Rockmusikliebhaber« versus »Ihr Leseratten« unmöglich, weil sie zwei Gruppierungen vorbildet, die zu verlassen unmöglich ist. Ich wüsste zumindest nicht, wie. Denn ich werde immer aus der ehemaligen Sowjetunion stammen.
    Zudem vermittelt sie mir permanent das Gefühl, mich bedanken zu müssen. Mich dafür bedanken zu müssen, hier sein zu dürfen, nicht als gleichberechtigtes Puzzleteilchen dieses Landes, sondern als jemand, der eben hier sein darf . Hört das jemals auf? Es hat nicht mit dem deutschen Pass aufgehört, auch nicht mit den auf Deutsch geschriebenen Büchern, nicht den Preisen, die ich dafür erhalten habe, wann aber dann?
    Ich bin übrigens nicht die Einzige, die auf der Suche nach einem neuen Namen zu sein scheint. Seyran Ateş hat den Begriff »Deutschländer« vorgeschlagen. Ich habe in Zeitungen auch schon »Multischland« und »Bunte Republik Neu-Schland« gelesen. Die taz hat kurz nach der Debatte um Thilo Sarrazin eine Umfrage gestartet, in der sie Prominente, aber auch Leser um Vorschläge für eine neue Bezeichnung für Migranten fragte. Unter den eingegangenen Vorschlägen waren: Antivergreisungshelfer, Kuckucksmenschen, Potenzielle Mitbürger, Neudeutsche, Panglobale Beute-Teutonen, Ausgrenzungsgefährdete, Meutsche, Migbürger,
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