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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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wenn auch
nicht die große, an diesem Tag pflegt? Und wenn nicht an diesem, dann an einem anderen? Isst man in Deutschland nun Labskaus, grüne Soße, Kässpätzle, Käsespätzle oder Kasspatzen? Warum müssen die Menschen in Sachsen-Anhalt arbeiten, während die Glückspilze in Bayern aufgrund eines nur dort gültigen gesetzlichen Feiertags frei haben? Wie sagt man denn nun zu Brötchen? Und sind die Preußen deutscher als die Westfalen?
    Wir leben in einem Land, zu dem die Vielfalt per Historie dazugehört, in einem Land, das sich nicht zuletzt durch diese zahlreichen Unterschiede wirtschaftlich, kulturell und sozial zu dem entwickelt hat, was es ist. Ein Sven aus Dänischenhagen mag mit einem Alois aus Bayrischzell ebenso wenig zu tun oder gemein haben – all die Klischees, die mit diesen Vor- und Ortsnamen einhergehen, für einen Augenblick übernommen  – wie mit einer Doreen aus Meuselwitz, aber alle drei gehören zweifelsfrei zu diesem Land. Sie müssen einander nicht mögen, sie müssen auch kein Verständnis füreinander haben, ihre Zugehörigkeit zweifelt aber niemand an.
    Selbiges gilt nicht nur für regional bedingte Unterschiede, sondern – wie in jedem anderen Land – auch für Menschen aus unterschiedlichen Generationen, unterschiedlichen Milieus, unterschiedlichen Vereinen sogar. Nehmen wir kurz mal an und bleiben wir dabei, dass Klischees nur für den Augenblick dieser Annahme in Ordnung sind: Prof. Dr. h.c. Arthur Schmid, benannt nach Arthur Schopenhauer, den sein Vater sehr verehrte, sitzt im selben Zug wie Uschi Müller aus Günstedt, die so heißt, weil ihre Mutter gerne Unterhaltungsserien im Fernsehen schaut, in denen Uschi Glas mitspielt. Nehmen wir mal an, auch wenn das eher unrealistisch ist, die beiden sitzen sich tatsächlich gegenüber, weil sie dieselbe (Preis-)Klasse gebucht haben. (Nehmen wir, damit es
realistischer wird, an, Frau Müller hat heute ausnahmsweise nicht den Regionalexpress genommen, während Herr Prof. Dr. h.c. Schmid nicht wie sonst erster Klasse fahren konnte, weil diese ausgebucht war, und ja, auch diese Klischees lassen wir für den Augenblick einfach so stehen.) Was haben sich die beiden zu sagen? Er, der gerade von einer internationalen Konferenz an der Sorbonne kommt und die Fahnen seiner neuen Monographie Korrektur lesen muss, und seine Sitznachbarin, die ihren Zweitgeborenen Kevin zu dessen Erzeuger bringt und hofft, dass der Ex sie am Bahnhof abholen und Windeln besorgt haben wird, so dass sie pünktlich wieder nachhause kommt, um ihre Lieblings-TV-Gerichtsshow (nur dass Uschi Müller nicht ahnt, dass es sich in dieser um Laiendarsteller handelt und nicht um »wahre Fälle«) ja nicht zu verpassen? Oder was verbindet den Berliner Hausbesetzer mit Punkfrisur und Sperrmüll-Fahrrad, der die Grünen für konservativ hält, und den Oberarzt, der sich endlich seinen Porsche geleistet hat, für den er seit seinem Studium gearbeitet hat?
    Nichts, so scheint es auf den ersten Blick. Aber: Sie sind Deutschland, um einmal eine gut gemeinte, aber wenig gelungene Kampagne zu zitieren. Und das Schöne ist: Das sprechen sie sich trotz der Unterschiede, trotz des wechselseitigen Gefühls, jeweils von einem anderen Planeten zu stammen bzw. auf einem solchen zu leben, trotz der zahlreichen Vorurteile, die die meinen möglicherweise sogar noch übersteigen, einander nicht ab. Die Diversität, die Heterogenität dieses Landes, die nicht in Frage gestellt wird, weil man es einfach nicht anders kennt, ist nicht zuletzt ein Merkmal Deutschlands. Die Tatsache, dass wir mit dieser Vielfalt nicht nur leben, sondern auf so vielen Ebenen von ihr profitieren, ist etwas, worauf wir stolz sein können. Weil wir uns von den vielen regionalen, kulturellen, auch religiösen Unterschieden nicht auseinandertreiben
lassen, nicht feindliche Lager bilden, sondern ein großes Etwas, eine funktionierende Demokratie, eine zivilisierte Gesellschaft, eine international angesehene Wirtschaftsmacht bilden. Eine Art Dach, unter dem wir alle, so unterschiedlich wir sind, jeder auf seine eigene Weise, leben können, es auch gerne tun, dabei einander akzeptieren und respektieren, ohne uns gegenseitig missionieren zu wollen. Die Fähigkeit zu dieser Art des Zusammenlebens, diese Vielfalt ist eine Stärke Deutschlands, und gerade sie macht dieses Land so schön. Eine Vielfalt, die von außen nicht einfach zu verstehen ist: Haben Sie schon einmal versucht, Menschen aus anderen Ländern zu erklären,
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