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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad
Autoren: Agatha Christie
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die Treppe zur Eingangstür hinauf.
    Eine magere brünette Frau kam heraus, um sie zu begrüßen, und Edward redete in schnellem Französisch auf sie ein. Die Frau wandte sich an Victoria und sagte höflich: »Bitte kommen Sie mit mir.«
    Sie führte Victoria in ein Schlafzimmer, wo ein Nonnengewand auf dem Bett ausgebreitet lag. Die Frau winkte ihr und Victoria zog sich aus, zog das steife Unterkleid an und hüllte sich in die mittelalterlichen voluminösen Falten dunklen Stoffes. Die Französin arrangierte den Kopfputz. Victoria warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Ihr schmales, blasses Gesicht sah unter dem riesigen Schleier eigentümlich keusch und überirdisch aus. Die Französin warf ihr einen Rosenkranz aus Holzperlen um. Dann wurde Victoria, in den übergroßen Schuhen schlurfend, wieder zu Edward geführt.
    »Du siehst sehr echt aus«, sagte er. »Schlag die Augen nieder, besonders wenn Männer in der Nähe sind.«
    Die Französin gesellte sich ein bis zwei Minuten später, ebenfalls als Nonne verkleidet, zu ihnen. Die beiden Pseudononnen traten aus dem Haus und bestiegen den Tourenwagen, an dessen Steuer jetzt ein großer dunkler Mann in europäischer Kleidung saß.
    »Jetzt liegt es an dir, Victoria«, sagte Edward, »tu genau, was man dir sagt.« Es lag eine leise, stählerne Drohung in seinen Worten.
    »Kommst du nicht mit, Edward?«, fragte Victoria kläglich.
    Er lächelte ihr zu. »Du siehst mich in drei Tagen wieder«, sagte er, und dann flüsterte er, in seinen alten einschmeichelnden Ton verfallend: »Lass mich nicht im Stich, Darling – nur du kannst diese Sache zu Ende bringen. Ich liebe dich, Victoria. Ich will nicht gesehen werden, wie ich eine Nonne küsse, aber es reizt mich wahnsinnig.«
    Victoria schlug züchtig die Augen nieder, wie es sich für eine Nonne geziemt, aber in Wirklichkeit, um den Zorn zu verbergen, der einen Augenblick in ihnen aufblitzte. Abscheulicher Verräter, dachte sie. Laut sagte sie in ihrer alten Manier: »Nun, jetzt bin ich die richtige christliche Sklavin.«
    »Braves Mädchen«, lobte Edward. »Mach dir keine Sorgen. Deine Papiere sind in bester Ordnung. Du wirst an der syrischen Grenze keinerlei Schwierigkeiten haben. Dein Name ist übrigens Schwester Marie des Anges. Schwester Thérèse, die dich begleitet, hat alle Dokumente und führt das Kommando und du musst gehorchen – oder es ist um dich geschehen, ich warne dich.«
    Er trat zurück, winkte fröhlich, und der Tourenwagen startete.
    Victoria lehnte sich in die Kissen zurück und erwog die möglichen Alternativen. Sie konnte Lärm schlagen und um Hilfe schreien, während sie durch Bagdad fuhren, oder, bei der Grenzkontrolle angelangt, sagen, das sie gegen ihren Willen verschleppt wurde – also auf die eine oder andere Art augenblicklich protestieren. Was würde sie damit erreichen? Aller Wahrscheinlichkeit nach ihr eigenes Ende.
    Nein, der beste Plan war mitzumachen, als Anna Scheele nach Bagdad zu fliegen und deren Rolle zu spielen. Wenn sie mit ihren gefälschten Dokumenten vor der Konferenz stehen würde, würde Edward nicht da sein. Und dann konnte sie niemand daran hindern zu sagen: »Ich bin nicht Anna Scheele und diese Papiere sind gefälscht.« Sie wunderte sich, dass Edward nicht an diese Möglichkeit dachte, aber sie überlegte, dass Eitelkeit eine Eigenschaft ist, die die Leute einfach blind macht.
    Der Wagen sauste über die Brücke. Victoria betrachtete den Tigris mit sehnsüchtigen Blicken. Dann fuhren sie eine breite, staubige Landstraße entlang. Victoria ließ die Perlen ihres Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten. Ihr Klappern wirkte beruhigend.

23
     
    D ie große Skymaster schoss auf Damaskus herab und vollführte eine tadellose Landung. Sie rollte sachte das Rollfeld entlang und blieb am festgesetzten Platz stehen. Die Passagiere wurden gebeten auszusteigen. Diejenigen, deren Ziel Basra war, wurden von jenen getrennt, die ein Anschlussflugzeug nach Bagdad nehmen wollten. Von diesen Letzteren gab es vier: ein wohlhabend aussehender irakischer Geschäftsmann, ein junger englischer Arzt und zwei Frauen. Sie mussten die verschiedenen Kontrollen und Fragen über sich ergehen lassen.
    Eine Frau mit müdem Gesicht, deren unordentliches Haar von einem Schal etwas zusammengehalten wurde, kam als erste dran.
    Mrs Pauncefoot Jones war rasch abgefertigt. Ihr folgte die Dänin Grete Harden.
    Grete Harden, eine magere blonde Frau, trug eine dunkle Brille. Sie sprach nur gebrochen
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