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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond
Autoren: Stefan Gemmel
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denn für eine merkwürdige Frage?«, antwortete sie hastig. »Wir sind füreinander da, Arthur. So wie sich das für eine Familie gehört. Oder etwa nicht?«
    Er ließ ihre Hand los. »Ja, natürlich. Füreinander da.«
    Sie zeigte sich zufrieden. »Schluss mit den Grübeleien. Die Arbeit wartet.« Sie wandte sich um und ließ ihn allein.
    Rouven sah an sich herab. Nein, sein gestriges Erlebnis war kein Traum gewesen. Noch immer steckte er in seinem zerrissenen Shirt. Noch immer klebte sein eigenes Blut an ihm. Und auch der Schmerz in seiner Schulter ließ ihn spüren, dass das alles wirklich passiert war. Auch wenn er es sich anders gewünscht hätte.
    Seine Hand umfasste noch immer die Zeitung, die er gestern auf dem Weg nach Hause auf einer Bank liegen gesehen hatte. Und wie immer, wenn er eine Zeitung fand, hatte er sie mitgenommen   – für Nana. Und das, obwohl er nicht wusste, ob sie überhaupt Zeitung las. Zumindest hatte er sie bisher noch nie mit einem dieser Blätter in den Händen gesehen.
    Rouvens Blick fiel auf die Titelzeile: »Banker-Ehepaar vermisst.« Mit einem Ruck setzte er sich auf und schlug die ganze Zeitung auf.
    »Gestern Nacht wieder einmal Einbruch in Wohnung« konnte er in der Unterzeile lesen. Hastig überflog er den Artikel. So hastig, dass er nur Fragmente las: »Zum dritten Mal bereits   … Wohnung verwüstet   … Polizei ratlos   … nichts gestohlen   …«, bis Rouvens Blick auf einem Satz ruhen blieb: »Ehepaar verschwunden.«
    Es stach ihm ins Herz. Alles glich den beiden vorigen Malen. Bis ins Detail.
    Bereits zweimal war Rouven schon in völlig fremden Wohnungen erwacht. Jedes Mal ohne zu wissen, wie er dorthin gelangt war. Und jedes Mal waren diese Wohnungen verwüstet und die Besitzer nicht aufzufinden gewesen.
    Doch was hatte das alles mit ihm zu tun?
    Anfangs hatte er noch geglaubt, ein Schlafwandler zu sein. Selbst als er zum zweiten Mal in der zerstörten Wohnung erwacht war, hatte er keinen Bezug zu sich selbst gesehen. Erst als er damals durch den Park gegangen war, zurück nach Hause, als er endlich einmal richtig nachgedacht hatte, war ihm ein erster Verdacht gekommen. Ein Verdacht, der nun zur Gewissheit geworden war. Durch das » U « an der Tür.
    Rouven durchzog es wieder eiskalt, als er sich die eingebrannte Schrift an der Tür in Erinnerung rief.
    Dieser Buchstabe.
    In der ersten Wohnung, in der er erwacht war, hatte er ein » R « entdeckt   – eingebrannt in das Holz der Tür. Unter der Zeichnung eines Sichelmondes und einer Vogelkralle. Allerdings hatte Rouven dies nur beiläufig und aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Zu sehr war er mit dem beschäftigt gewesen, was geschehen war, als dass er sich mit Nebensächlichkeiten hätte befassen können. Zunächst hatte er nach weiteren möglichen Verletzten gesucht. Hatte per Telefon die Polizei verständigt, bevor er davongelaufen war. Den Buchstaben hatte er schnell vergessen.
    Doch als er in der zweiten Wohnung erwacht war   – wieder mit Kampfspuren und ohne eine Ahnung, wie er dort hingelangt war   –, war ihm sofort das riesige » O « auf der Tür aufgefallen, und er hatte es mit mehr Interesse betrachtet. Noch immer ohne einen Zusammenhang zu sehen. Erst später, hier auf seinem Bett, hatte er Verdacht geschöpft. Es hatte sich in ihm festgesetzt und ihn immer wieder darüber nachdenken lassen. Bis es gestern durch das » U « an der Tür bestätigt worden war: » R «, » O «, » U «   – die ersten drei Buchstaben seines Namens.
    Er fasste sich an die Stirn. Wieder einmal hatte er das Gefühl, die Welt drehe sich um ihn herum. Und mit ihr tausend Fragen.
    Was hatte das alles mit ihm zu tun?
    Wie war er in die Wohnungen gelangt?
    Und vor allem: Wo waren die Besitzer dieser Wohnungen?
    Hatte er ihnen etwas angetan? Möglicherweise war Rouven ein Krimineller, der diese Menschen entführt   – und ihnen vielleicht Schlimmes angetan hatte.
    Er dachte an die Symbole zurück und fragte sich, was sie bedeuten konnten: der Sichelmond und diese Vogelkralle. Vielleicht signierte er seine Verbrechen. Vielleicht zog er seinen Namen wie eine Unterschrift durch seine kriminellen Taten.
    Sein Kopf zersprang beinahe. Zu viele Fragen.
    Zu viel Angst vor den Antworten.
    Mit Schwung warf er die Zeitung von sich.
    Wenn er sich doch nur erinnern könnte   …

A uch Tage später war Rouven noch immer völlig aufgelöst. Es gelang ihm kaum, auch nur einen Moment lang seine Gedanken abzuschalten. Und vor
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