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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien
Autoren: Klaus Weitzer
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erlebt werden oder auch gar kein Schmerz vorhanden ist - in diesem Moment herrscht ein Spannungsgleichgewicht. Manche Patienten erleben einfach »einen Schmerz, der anders ist als sonst«, ohne Näheres dazu sagen zu können.
    Dabei müssen es nicht unbedingt frühere Schmerzen sein, die erlebt werden. Oft erlebe ich Vorfälle wie diesen: Zu mir
kommt ein Mensch mit Schmerzen in der rechten Schulter, die immer schlimmer werden und ihn nicht mehr schlafen lassen. Die Diagnose lautet: »Arthrose« oder »Entzündung«, was durchaus auch auf dem Röntgenbild zu sehen ist. Während unserer Zusammenarbeit erlebt er plötzlich denselben Schmerz in der linken Schulter, und hier gab es zuvor weder Schmerzen oder einen Unfall noch eine medizinische Diagnose oder Auffälligkeit. Auch diese Reaktion muss im Sinne des Spannungsmodells interpretiert und im kommunikativen Prozess entsprechend berücksichtigt werden.
    Lassen Sie mich diese Vorgänge aus der Sicht des Spannungsmodells näher erläutern: Bei Schmerzen befindet sich ein Nervensystem auf einem »Spannungs-Weg«. Muskelspannung bedeutet »Konflikt« in irgendeiner Form: zwischen »Verstand« und »Gefühl«, also Großhirnrinde und limbischem System, zwischen zentralem und vegetativem Nervensystem, zwischen linker und rechter Hemisphäre, zwischen willentlich und unbewusst produzierten Muskelaktivitäten. Das Zusammenspiel ist nicht aufeinander abgestimmt (siehe Kapitel 1), das ganze System ist aus dem Gleichgewicht. Wird nun das Nervensystem des Betroffenen direkt (manuell) oder indirekt (verbal) über dieses Spannungsverhalten informiert und ihm ermöglicht, es wahrzunehmen, setzt es sich damit auseinander. Jedes Nervensystem ist von sich aus um ein Verhalten im Gleichgewicht bemüht. Um es wieder zu entdecken und zu lernen, macht es sich auf die Suche nach dem passenden »Trampelpfad« (siehe S. 33 f.), probiert aus und verwendet dabei zunächst auch solche Pfade, die bereits angelegt sind. Durch die therapeutischen Informationen beginnt es, sein Verhalten zu verändern.
    So kann sich der Schmerz, wie im obigen Beispiel, vorübergehend auf die andere Schulter verlagern. Die beiden Hemisphären tauschen sozusagen Spannungsinformationen aus, mit dem Ziel, sich wieder abstimmen zu lernen. (Dies beruht
wieder auf der Tatsache, dass die Skelettmuskeln der linken Körperhälfte willentlich durch die rechte Hirnhälfte gesteuert werden und umgekehrt. Da Muskelaktivität nach unserer Vorstellung die Grundlage aller Verhaltensvorgänge ist, kommt jede Veränderung des Verhaltens der beiden Hemisphären immer auch körperlich zum Ausdruck.) Während dieses Suchprozesses erinnert sich das Gehirn auch an Wege, die länger nicht gegangen wurden und wieder »zugeschneit« sind. Darunter befindet sich auch früheres Spannungsverhalten und Symptome, die dem aktuellen Schmerz zugrunde liegen. So kommt es dann zu »Körpererinnerungen«, das heißt zu Schmerzen, die früher einmal Thema waren, oder zu weiteren Körperreaktionen wie Herzrasen, Atembeschwerden oder Magenschmerzen bzw. anderen unangenehmen Empfindungen.
    Daran gekoppelt sind Emotionen, meist in irgendeiner Erscheinungsform von Angst (die nicht unbedingt bewusst als Angst erlebt werden muss). Oft kommt kurz danach oder in einer späteren Sitzung auch ein dazugehöriges Ereignis bildhaft in Erinnerung. Neben Spannungsverhalten erinnert sich das System auch an ein Verhalten »im Gleichgewicht« und geht »Entspannungswege«: Schmerzfreiheit, wohltuende Körperempfindungen (»Wärme«, »Schwere«, »Leichtigkeit«, »Kribbeln«), wiederum gekoppelt an »entspanntes« Fühlen und Denken (»innere Ruhe«, »Freude«, »Zufriedenheit«, »Gelassenheit«, »Wohlfühlen«, schöne Bilder und Erinnerungen).
    Kein Mensch kann vorab sagen, wie lange eine Schmerztherapie dauert und wie sie genau verlaufen wird. Allgemein kann man sie jedoch als eine »Wiederholung des Entstehungsprozesses in umgekehrter Reihenfolge« charakterisieren. Die Entstehung eines Schmerzproblems, einer Teufelsspirale, habe ich in Kapitel 3 beschrieben. Während der therapeutischen Zusammenarbeit - das wurde an der Geschichte des Herrn M. deutlich - melden sich viele frühere Schmerzen und Spannungsprobleme. Dabei dauert es länger, älteres Spannungsverhalten,
dessen
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