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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien
Autoren: Klaus Weitzer
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Wege sozusagen lange nicht gegangen wurden und verschneit sind, zu verändern und zu harmonisieren. Denn sie sind das Fundament für weitere Spannungsmuster und Probleme, die im Anschluss entstehen. Schmerzen, die als Letztes zum Problem wurden, verändern sich meist zuerst. Sehen wir uns das bei Herrn M. an: Sein Knieproblem war sozusagen die letzte Schmerzthematik, die sich aus seiner Spannung heraus entwickelte. Es war dann auch sehr schnell kein Thema mehr. Mit den grundlegenden Problemen dahinter, allen voran den Kopf- und Nackenschmerzen, hatte Herr M. viel länger zu tun und hier benötigt er noch heute hin und wieder ein Medikament - wenn auch sehr selten.
    Kommunikative Schmerztherapie, so kann man allgemein sagen, »rollt das Leben des Patienten von hinten auf«. Noch einmal: Schmerzen und andere Probleme, die in seinem Leben als Erstes eine Rolle gespielt und ihn geprägt haben, sind meist die letzten, die gelöst werden - es sei denn, das Nervensystem hat bereits gelernt, sie zu harmonisieren. Dann taucht das Symptom nur kurz und nicht sehr intensiv auf und verschwindet wieder. Ein Schmerz ist dann quasi eine therapeutische Reaktion und manchmal erlebt ein Patient ihn sogar als »positiv«. Wurde die Spannung hinter einem Schmerz oder anderen Symptomen dagegen nicht integriert und der Organismus hat nicht gelernt, sie aufzulösen, kann die Reaktion sogar einer eigenen therapeutischen oder medizinischen Betreuung bedürfen.
    Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Schmerz oder eine Angst immer nur medikamentös oder mechanisch behandelt oder »betäubt« wurden, weil sie »nicht sein durften«. Auch bezüglich des Therapieverlaufs gibt es also keine unumstößlichen Gesetze - er hängt vom individuellen Organismus ab. Der Organismus bestimmt den Verlauf, der keineswegs kontinuierlich sein muss. Insbesondere wenn es zu grundlegenden Veränderungen beim Patienten kommt, kann es vorkommen,
dass die therapeutische Zusammenarbeit auch mal eine Pause braucht. Herr M. und ich sehen uns beispielsweise wochenlang überhaupt nicht, vor allem wenn er zunehmend selbst die Spannung hinter seinen Schmerzen kontrollieren kann.
Der Umgang mit Widerständen
    Schmerztherapie ist, wie Sie sehen, also nicht einfach, Verlauf und Erfolg hängen von der Qualität der therapeutischen Kommunikation ab, stellt also gewisse Anforderungen an den Therapeuten und den Patienten. Beide sorgen dafür, dass eingefahrene Spannungswege verlassen und Entscheidungen für »entspanntes« Verhalten und Schmerzfreiheit getroffen werden können, indem sie das Nervensystem des Patienten entsprechende Erfahrungen machen lassen. Dadurch kann auch dieser Weg breiter ausgetreten werden und das Nervensystem entscheidet sich leichter für ihn. Lernen braucht Zeit und Geduld. Und weil unterschiedliche Vorgänge im Organismus, bewusste und unbewusste, körperliche und psychische über dieselben bio-elektrischen Prozesse gesteuert werden, betrifft die Veränderung einer Erscheinung immer auch alle anderen.
    Weil dies hier besonders offensichtlich ist, beziehe ich mich noch einmal auf das Beispiel Kopfschmerz und Migräne. Kommunikative, vor allem manuelle Behandlungen sorgen oft rasch für eine Harmonisierung der Muskelspannung, die unmittelbar hinter dem Kopfschmerz steckt, und zwar im Bereich Kopfansatz/»Nacken«. Der Schmerz ist erst mal weg, der Kopf fühlt sich »leicht und frei« an. Die Metapher aus dem Volksmund, dass »die Angst im Nacken sitzt«, drückt aus, was dann jedoch häufig geschieht: Plötzlich wird der Betroffene während der Behandlung unruhig und erlebt Angst als Gefühl oder auch als Körperreaktion. Er spürt ein »Vibrieren«, Tränen fließen, er beginnt zu schwitzen.

    Die Interpretation nach dem Spannungsmodell lautet: Diese Muskelspannung selbst ist eine »Gegenspannung«, die vor der Angst schützen soll. Sie mildert das Angsterleben ab. Bei einem kleinen Kind ist diese grundlegende Stressreaktion noch deutlich zu sehen, wenn es bei einer Bedrohung den Kopf zwischen die Schultern zieht und sich klein macht. Dies ist mit einem Gefühl von Sicherheit verbunden. Wird diese Muskelspannung jedoch zur Gewohnheit, so wird mit ihr - bildhaft gesprochen - »die Angst festgehalten«. Erhält nun das Gehirn durch eine Behandlung entsprechende Informationen und unterlässt sie, verschwindet mit ihr
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