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Gefaehrliches Schweigen

Gefaehrliches Schweigen

Titel: Gefaehrliches Schweigen
Autoren: Ritta Jacobsson
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PROLOG
    Missa war verschwunden.
    Das ist meine Schuld!, dachte Natalie. MEINE SCHULD!
    Sie konnte weder essen noch lesen noch an etwas anderes denken. Mit jeder Stunde, die verstrich, wuchs ihre Verzweiflung. Ihr ganzer Körper befand sich in Aufruhr. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen und ihr Magen gurgelte unruhig, während sie auf und ab tigerte.
    Zum sicher hundertsten Mal stand sie fröstelnd vor der Haustür und rief und lockte die Katze mit panikerfüllter Stimme.
    „Mach die Tür zu!“, schrie ihre Mutter. „Es zieht. Sie kommt zurück, keine Sorge. Katzen gehen gern ihre eigenen Wege.“
    Missa nicht, protestierte Natalie in Gedanken. Molly war diejenige, die sofort rauswitschte, kaum dass die Tür einen Spaltbreit aufging. Doch jetzt gerade lag die schwarze Katze in der Diele auf umgekippten Winterstiefeln und schnurrte, ohne die Unruhe ihres Frauchens zur Kenntnis zu nehmen.
    Natalie blickte flehend auf den Schnee hinaus, in der Hoffnung, eine weiße Katze auftauchen zu sehen, die auf das Haus zulief.
    Missa hielt sich immer im Garten auf und kletterte besonders gern in die Spitze der niederen Hängebirke vor dem Küchenfenster hinauf, von wo aus sie abwartend die Vögel betrachtete, die hoch über ihrem Kopf vorbeischwebten.
    Dort hatte sie auf den winterlich kahlen Ästen gesessen, als Natalie zuletzt nach ihr geschaut hatte. Weit hinten auf der Straße hatte Natalie kurz eine dunkle Gestalt gesehen, die auf ihr Haus zuging, aber sie hatte möglichst schnell zum Fernseher zurückkehren wollen, wo gerade ihre Lieblingsserie über die braun gebrannten Teenies unter den exotischen Palmen Kaliforniens lief.
    Eine echt bescheuerte Idiotensendung!
    Das war vor vier Stunden gewesen. Die Zeit verging unendlich zäh.
    Natalie wanderte von Fenster zu Fenster.
    Auf der blank geputzten Arbeitsplatte lag eine Tüte mit Krabben. Molly, die inzwischen wieder munter war, umkreiste sie neugierig und leckte an der beschlagenen Plastikhülle. Im Kühlschrank standen Wein und eine große Flasche Cola. Natalies Vater war von einer Sitzung in Brüssel nach Hause unterwegs und konnte jeden Moment zur Tür hereinkommen. Dann würde ihre Mutter ihre Arbeit unterbrechen und der beste Abend der Woche seinen Anfang nehmen.
    Aber nicht an diesem Freitag.
    Etwas Böses hatte die Idylle zerstört, etwas, das Natalie jetzt von innen her zerriss.
    Sie hatte ihre Strafe bekommen.
    Weil sie Nein gesagt hatte.
    Die Lehrer der Pausenaufsicht waren auf dem Schulhof umhergewandert und hatten selbstzufrieden nickend festgestellt, wie schön friedlich alles war. Sie hatten nichts Ungewöhnliches daran gesehen, dass ein dünnes Mädchen aus der Achten zitternd, dem Weinen nahe, inmitten einer Gruppe von Jungs aus der Neunten stand.
    Obwohl Natalie Angst gehabt hatte, hatte sie immer noch geglaubt, eine Wahl zu haben.
    Aber am kommenden Montagmorgen würde sie sich zu allem bereit erklären.
    Bis dahin war es allerdings noch eine Ewigkeit.
    Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
    „Ich geh raus und such noch mal nach ihr.“
    Sie hatte gehofft, ihre Mutter würde vorschlagen, sie zu begleiten, doch die saß vor dem Computer, neben dem Bildschirm häuften sich die Papiere. Vermutlich hatte sie wieder irgendein großes Wohnungsprojekt am Laufen.
    „Mhm.“
    Natalie zog die Steppjacke übers T-Shirt an, schlüpfte mit bloßen Füßen in die Winterstiefel und lief nach draußen. Es war einfacher, irgendwas zu unternehmen, anstatt nur zu warten.
    Bei den Nachbarn war Licht. Die meisten hockten drinnen in der Wärme und sperrten die winterliche Kälte und Dunkelheit aus.
    Die Nachbargärten hatte sie schon durchsucht, sie hatte unter schneebedeckte Gartenmöbel geschaut, hatte gerufen und gelockt. Jetzt spähte sie auf dem Weg zur Hauptstraße in die Straßengräben.
    Die Nebenstraße war zwar nicht stark befahren, aber ein einziges Auto genügte, um eine kleine Katze zu töten.
    Sie stellte sich den Aufprall vor.
    Das harte Auto.
    Den weichen Katzenkörper.
    Schnell kniff sie die Augen zu, um das Bild des fliegenden Katzenkörpers zu verdrängen.
    Sie glaubte nämlich nicht, dass Missa überfahren worden war.
    Ihr war etwas viel Schlimmeres zugestoßen.
    Und jetzt lag Missa irgendwo allein im Dunkeln.
    Das Monster schlug seine Krallen immer tiefer in Natalie, bis der Schmerz unerträglich wurde.
    „Ich bereue es. Bitte!“
    Niemand hörte ihr leises Wimmern.
    Suchend lief sie von Straßenseite zu Straßenseite. Von der großen Straße drang
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