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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien
Autoren: Klaus Weitzer
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geraten, aus der er selbst nicht mehr herausfindet. Es reicht deshalb nicht, sich um die einzelnen objektiven Ursachen zu kümmern, Schmerztherapie muss sich vielmehr mit der Spannung hinter dem Schmerz beschäftigen.
    Besonders wichtig ist, dass diese sich nicht nur als Schmerz zeigt, sondern auch viele weitere körperliche und psychische Ausdrucksweisen besitzt und überall zum Problem werden kann. Stets ist der ganze Mensch betroffen, stets verändern sich Körper und Psyche, stets alle Bereiche des Nervensystems. Dabei muss eine Veränderung jedoch nicht überall zeitgleich passieren und bewusst erlebt werden. Wie wir an den Beispielen in diesem Buch gesehen haben, ist der Prozess ständig in Bewegung und voller Überraschungen, sowohl für den Therapeuten als auch den Patienten. Während der Therapie ist also das Augenmerk
nicht nur auf die Schmerzprobleme zu legen, mit denen ein Patient kommt. Um die therapeutische Kommunikation effektiv gestalten zu können, muss immer der gesamte Spannungszusammenhang berücksichtigt werden - der ganze Mensch im Blick sein.
    Kommunikative Schmerztherapie ist also nicht nur Schmerzbehandlung, sondern es geht um eine grundlegende Veränderung, Harmonisierung und Neuorganisation aller Verhaltensprozesse des Nervensystems. Wie grundlegend dieser Prozess ist, zeigen die genannten Beispiele. Hier melden sich Themen, die weit in der Kindheit zurückliegen, und erfahren eine Veränderung. Nach und nach wird sich der Organismus seines Spannungsverhaltens bewusst, erkennt es als sein eigenes Verhalten. So erhält der Schmerz im Verlauf der Therapie für den Patienten einen »Sinn«. Der Organismus »versteht« ihn und lernt mit Hilfe der kommunikativen Begleitung, aus der Teufelsspirale auszusteigen.
    Herr M. und ich kannten die objektiven Tatsachen, seine Schmerzarten und deren Ursachen von Anfang an. Sie wurden ausführlich diagnostiziert. Doch erst im Verlauf unserer kommunikativen Zusammenarbeit wurden die Zusammenhänge deutlich: Sie wurden ihm bewusst und er erzählte sie mir - oder umgekehrt. Wie zeigt sich das konkret in einer Schmerztherapie? Manche Menschen finden sehr schnell ins Gleichgewicht, erkennen ihr Spannungsverhalten, können es ändern und sind ihr Schmerzproblem im wahrsten Sinne des Wortes los. Solche Fälle sind zugegebenermaßen selten, vor allem wenn das Problem schon länger besteht, aber es gibt sie.
    Meist aber verläuft der Prozess über mehrere Stationen: Phasen, in denen das Schmerzproblem scheinbar »aus der Welt« ist, wechseln ab mit extremem Schmerzerleben. Es melden sich verschiedene Schmerzarten und andere körperliche und psychische Symptome, meist solche, die im Leben des Patienten ebenfalls ein Problem sind oder es einmal waren. Sie
sind Ausdruck von Spannung »hinter« oder »neben« dem Schmerzproblem und schieben sich nun in den Vordergrund. Manche Schmerzen scheinen gar kein Ende zu nehmen und bedürfen der therapeutischen Aufmerksamkeit, andere sagen kurz »hallo« und verabschieden sich dann wieder.
    Als er zu mir kam, litt Herr M. unter seinen Knieschmerzen. Wie schon erwähnt, erlebte er sie zu jener Zeit als sein einziges Problem. Er hatte »natürlich« auch Rückenschmerzen, die aber »soweit im Griff«. In unserer Arbeit wurde das Knie nicht isoliert behandelt oder betäubt, sondern der Organismus aufgefordert, sich mit der Spannung hinter dem Schmerz zu beschäftigen. Dadurch »löste« sich sozusagen diejenige des Knieschmerzes, die selbst eine Schutzreaktion ist. Sie entstand unter anderem im Zusammenhang mit den Belastungen durch die Rückenschmerz-Thematik sowie durch seine Fußverletzung als Kind. Dadurch, dass der Organismus also eine Spannung verändert, kommen die dahinterliegenden Probleme zum Vorschein, die zu Spannung und Schmerz geführt haben.
    Â 
    Wichtig ist auch folgende Beobachtung: Im Erleben des Patienten geht ein Schmerz nicht einfach weg, sondern »gerät in Bewegung«. Dies zeigt sich auf vielfältige Weise, indem seine Intensität, Qualität oder Lokalität wechselt. Bei Herrn M. war der Knieschmerz schnell verschwunden, um dann mit aller Gewalt und intensiver als gewöhnlich zurückzukommen. Aus dem Knieschmerz wurde ein Rückenschmerz und wieder ein Knieschmerz. Manchmal wechseln Schmerzen während derselben Sitzung einige Male hin und her, wobei auch beide gemeinsam
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