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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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klapperte und knirschte. »So rundum sollen wir erleben, was es heißt, in Sibirien zu sein.«
    Aber die Reihenfolge stimmte, wie jedes Jahr: nach dem Regen kam der Sturm, nach dem Sturm kam der Schnee, und als das Land nur noch eine weiße Fläche war, aus der die Wälder herausragten wie riesiges Spargelkraut, kam der Frost, froren die Bäche zu, zog der Tobol eine Decke aus Eis über sich und erstarrte alles Leben.
    Man lebte innen, im Haus, schlief auf den Plattformen der Öfen wie seit Urväter Zeiten. Eine große Gemeinschaft der Lebenden: Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Gänse, Hund und Katze … alles unter einem Dach, denn die meisten Ställe und Scheunen klebten hinten an den Häusern und hatten eine Tür zu den Menschen.
    Die Lastwagenkolonne hatte endlich nach Tobolsk zurückkehren können, aber die Wagen mit der neuen Küche blieben in der Stadt. Dafür flog ein Militärhubschrauber einen neuen Kommandanten zu dem verlassenen Bataillon, einen jungen Hauptmann mit dem nichtssagenden Namen Iwan Iwanowitsch Popow, der von Mamjelew die Truppe übernahm, sich in die Kommandantur setzte, darüber nachdachte, wie stinklangweilig das Leben hier sei und mangels anderer Aufgaben für das Bataillon wieder den sturen Kasernen- und Exerzierdienst einführte.
    Die einzigen, die jetzt unterwegs waren, nannten sich ›Anglerkollektiv‹, zogen zum Tobol, schlugen Löcher in das Eis und legten Angelschnüre aus. Hier trafen sie auf den finsteren Trofimow, der stundenlang – in einen dicken Wolfspelz vermummt und Fellstiefel an den Beinen – vor seinen Eislöchern hockte oder sie abging, seine Angeln und Reusen kontrollierte und zu dem ›Anglerkollektiv‹ der Baubrigade hinüberschrie: »Wer mir hier zu nahe kommt, wird unterm Eis die Fische fressen! Das ist mein Revier, ihr Halunken, das ist mein Fluß …«
    Für die Hunde hatte Jugorow winterfeste Hütten bauen lassen; dicke Bohlen als Wände, außen isoliert mit Glaswollmatten. Jetzt endlich liefen sie in der Nacht frei herum. Verboten war's deshalb, sich nach zehn Uhr noch im Freien aufzuhalten – aber wer tut das schon bei 32 Grad Frost ab Beginn der Dämmerung? Am Tag wärmte eine kalte Sonne kaum das Land; nur der gefrorene Schnee schimmerte wie Kristall, und er zerbrach auch wie geschliffenes Glas, wenn man darüber ging.
    »Still ist es«, sagte Schemjakin einmal. »Zu still für mich. Wo bleibt der ›Spezialist‹?«
    »Was soll er denn?« fragte Jugorow. In den langen Tagen las er oder half Walja im Hospital, wenn er nicht mit seinen Hunden beschäftigt war. Aufs Wort gehorchten sie ihm jetzt, auf seinen speziellen Pfiff, auf jede Handbewegung, ja auf jeden Blick.
    »Die Elektrozentrale steht noch, die Transformatoren arbeiten noch … unmöglich ist's, daß er unseren Nervenstrang vergessen haben sollte.«
    »Er wird nicht reinkommen, Boris Igorowitsch. Die Hunde greifen sofort an.«
    Jeden Abend waren im Radio Opern und Literaturlesungen zu hören, Berichte und Theaterstücke, Tanzmusik und große Sinfoniekonzerte. Aber auch Nachrichten gab es und politische Kommentare.
    Draußen in der Welt, so unendlich weit weg von Sibirien und doch so schicksalsnah, sah es schrecklich aus. Der Westen rüstet wie im Wahnsinn, der nächste Krieg würde im Weltall stattfinden … nicht allein auf der alten, zerschundenen Erde würde man sich vernichten, sondern auch mit künstlichen Sternen, neuen Atomwaffen, unaufhaltsamen Laserstrahlen, neuen, ungeheuren Energien. Ein Überleben gab es dann nicht mehr, keinen Sieger oder Besiegten. Nur noch eine kaputte Welt würde übrigbleiben, die ganz von vorn beginnen müßte wie vor Millionen Jahren, als sie aus feurigem Gas entstand. Von einer Sache sprach kein Nachrichtensprecher: Von der gleichzeitigen Rüstung der Sowjetunion, von ihren riesigen Interkontinental-Atomraketen, die jeden Punkt auf der Erde erreichten; von den neuen U-Booten, die unter Wasser ihre Atomraketen in jedes Ziel bringen konnten, und von dem Weltallprogramm im Osten, dessen technischen Stand niemand wußte oder auch nur ahnte.
    »Und wir sitzen hier und leben wie die Bären«, sagte Schemjakin, wenn er Schlimmes hörte. »Igor Michailowitsch, was sind wir doch für winzige Wesen in dieser Welt.«
    Zu Zeiten, in denen Walja im Hospital beschäftigt war, sprach Jugorow ab und zu über Funk mit Filaret und erfuhr Dinge, die Schemjakin nie erreichten und die nie im Radio besprochen oder in den Zeitungen abgedruckt wurden.
    »Es brodelt,
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