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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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›gefährliche Projekt an, das uns alle ganz außerordentlich beunruhigt‹, und Salygin sagte es am deutlichsten: »Das Projekt ist völlig unhaltbar und wissenschaftlich unbegründet!«
    Im Januar verbrannte sich ein Mann aus Protest auf der Straße. Mit Benzin übergoß er sich und entzündete dann ein Streichholz. Die Miliz warf Decken über ihn, transportierte den Toten ab und stellte seinen Abschiedsbrief sicher.
    Keine Zeitung berichtete über die Verbrennung, keine Radionachricht teilte es mit. Die Welt erfuhr nichts.
    Aber im Kreml verhandelte Gorbatschow mit Experten und Wissenschaftlern, mit Befürwortern und Gegnern. Die Parteichefs jener südlichen Regionen, die bewässert werden sollten, reisten aufgeregt nach Moskau: Dinmuchamed A. Kunajew von Kasachstan und Inamschon B. Usmanchodschajew aus Usbekistan. Sie mußten sich sagen lassen, daß man sehr nachdenklich geworden sei bei der Frage, ob das Kanalprojekt nicht doch mehr Schaden anrichten werde als Nutzen.
    In der Zeitung ›Sowjetskaja Rosija‹ veröffentlichten die Schriftsteller des Kongresses einen gemeinsamen flammenden Aufruf, in dem – zum erstenmal von sowjetischer Seite – eine mögliche Umweltkatastrophe durch das Schmelzen des Pols behandelt wurde. »Viele Millionen Hektar Weide und Ackerland sind von Überschwemmung bedroht, Kulturdenkmäler versinken im Wasser …«, um im trockenen Süden neues Land zu gewinnen. Hebt sich das nicht auf? Ist das nicht blanker Irrsinn? Und wieder erhob der mutige Aganbegjan mit fünf anderen Wissenschaftlern seine Stimme und rechnete in der ›Prawda‹ dem Ministerium für Bodenverbesserung und Wasserwirtschaft vor, daß es dreißigmal mehr Rubel in den sinnlosen Bewässerungsbau stecken wolle als in die vierzig ebenso wichtigen, nutzvollen Maßnahmen zur Bodenverbesserung im ganzen Land. Außerdem seien alle Berechnungen falsch: Der Pegel des Kaspischen Meeres und des Aral-Sees steige wieder! Man brauche kein Wasser aus den sibirischen Strömen. Laßt Europa leben!
    Am 3. März 1986 gebar Soja ihr Kind, einen Jungen. Sie brachte ihn in Masuks Haus zur Welt, Svetlana saß bei ihr, hielt ihr über elf Stunden den Kopf während der Wehen, Walja wartete auf das Heraustreten des kleinen Schädels, und Trofimow rannte im Haus herum, verfluchte Masuk und schrie Korolew, der einmal nachsehen kam, an: »Wenn mein Töchterchen stirbt, wenn sie's nicht überlebt – an Masuks Grab im Moor gehe ich und scheiße darauf!«
    »Davon hat er nichts mehr«, antwortete Korolew trocken und zog Trofimow weg. »Und halt's Maul, du Ochse … Masuk ist verschwunden! Jetzt weiß ich endlich, wo er liegt. Sei bloß still!«
    Ein schönes Kind war's mit den schwarzen Haaren von Lew Andrejewitsch und dem schmalen Kopf von Soja Gamsatowna. Walja hielt es hoch, als es abgenabelt und gewaschen war, zeigte es jedem, der im großen Zimmer wartete und legte es dann Trofimow in die Arme.
    Der Alte glotzte dumm herum, kaute an seiner Unterlippe, räusperte sich, dachte daran, wie er vor 24 Jahren sein Kind, das Töchterchen Soja, im Arm gehalten hatte, drehte sich um, zur Wand hin, wo ihn keiner sah, beugte sich über den Kleinen und küßte ihn mit einer überwältigenden Zärtlichkeit. An diesem Tag feierte man in Lebedewka trotz 39 Grad Frost.
    Trofimow richtete die Feier in der Stolowaja aus, holte von seinen Vorräten heran, daß sich die Tische bogen, und tanzte mit allen Weibern des Dorfes bis in den Morgen hinein.
    Nur Großväterchen Beljakow konnte nicht teilhaben an dieser Freude – er lag im Sterben. Er verlöschte wie ein Licht ohne Sauerstoff, ganz langsam, ganz still; es war ein Wegschleichen zu Gott.
    Am 15. März 1986 gab Leonid Win, der stellvertretende Chef der staatlichen Planungsbehörde Gosplan, in Moskau eine Pressekonferenz. So ganz am Rande des wichtigen 27. Parteitages, auf dem Gorbatschow der staunenden Welt ein anderes Rußland vorstellte.
    Zur Verblüffung aller Pressekorrespondenten erklärte Win, daß man ›vorerst klarkomme, ohne die Flüsse im Norden anzuzapfen‹. Aber der Plan sei nur verschoben; erst im 13. Planjahrfünft, ab 1991, könnte man – vielleicht – die Frage wieder aufnehmen und eine ›reale Bedeutung‹ überdenken.
    Der Sib-Aral-Kanal wurde eingestellt.
    Schon sechs Tage nach dieser offiziellen Bekanntgabe erreichte Schemjakin eine Fülle von Anordnungen aus Tobolsk. Jetzt wurde auch der Leiter Tobolsk, der fette Koskajew, munter. Er rief mit fröhlich hüpfender Stimme an und
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