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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schrie er und legte den Arm um Waljas Brust. Wie ein Stein war sie, ein wunderbar schöner Stein. »Rien ne va plus … die Kugel rollt … nichts geht mehr … Eins … zwei … drei … vier …«
    »Laßt mich hinaus!« brüllte drinnen Jugorow und zerrte an den Armen, die ihn festhielten. »Er bringt Walja um … hofft nicht auf Gnade … er bringt sie um … Er ist einer von der GRU! Er tötet ohne einen Funken Gewissen … Rettet doch Walja … laßt mich los …«
    Unter seinem Busch hatte Andrej Nikolajewitsch Beljakow Tränen in den Augen. Er sah, was er angerichtet hatte. Auch er wußte, daß Krasnikow gnadenlos abdrücken würde. Dann habe ich Walja getötet, und Jugorow überlebt, dachte er verzweifelt. Alles ist meine Schuld, und alles ist anders gekommen, als ich es mir ausgedacht hatte. Ein Verräter bin ich geworden, und wie ein Verräter werde ich enden. Ich, Andrej Nikolajewitsch Beljakow!
    Mit einem trockenen Schluchzen visierte er noch einmal Krasnikows Kopf an, zielte mit aller Präzision, um Walja nicht zu gefährden, und betete gleichzeitig zu Gott, daß Krasnikow nicht im letzten Reflex doch den Finger krümmte und alles umsonst gewesen war.
    Als Krasnikow »Sieben!« sagte, zog Beljakow durch. Genau in die Schläfe drang der Schuß, Krasnikows Kopf zuckte hoch, die Pistole fiel aus seiner Hand. »Oh, danke dir, Gott, Gott, Gott«, schrie Beljakow ins Gras und fiel um zur Seite, in die am Vorgarten wachsenden Herbstastern.
    Mit einem Satz war Walja weggestürmt, Jugorow fiel fast aus dem Haus, rannte mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu, riß sie an sich, als könne er sie ganz in sich hineindrücken, und da erst weinte Walja und küßte Igor, und sie streichelten sich und waren nicht mehr auf dieser Welt vor Glück.
    Langsam erhob sich Andrej, hörte um sich viel Geschrei, hörte Großväterchens Stimme: »Mein Enkel war's! Mein Andrej! Ein Held ist er, ein echter Beljakow. Von mir hat er das, von mir!« Aber Andrej kümmerte sich nicht darum, er ging weiter, mit leerem Blick, nur auf Walja und Jugorow starrend, wie sie sich küßten, die Unerreichbare und der Verratene, ging – sein Gewehr noch in der Hand – bis zu dem hingestreckten Krasnikow, beugte sich über ihn, legte seine Stirn auf den Lauf des Gewehrs, zog zum zweitenmal den Abzug durch und stürzte mit dem Knall ohne einen weiteren Laut zu Boden.
    In völliger Erstarrung hatten alle zugesehen. Schagin kaute wie eine Kuh und hob wie segnend die Hände, Walja klammerte sich entsetzt an Jugorow fest, Korolew schlug die Hände vor das Gesicht, Rudenko riß Beljakows Flinte von der Erde, im Inneren des Hauses schrie Andrejs Mutter auf und stürzte dann bewußtlos zu Boden, Goldanski murmelte: »Andrej, mein armer Junge! Es war gut, daß du dich selbst gerichtet hast«, und Großväterchen schrie mit seiner hellen Greisenstimme:
    »Mein Enkelchen … Andrej, mein Liebling … was hast du getan … Was tust du deinem Großvater an … Enkelchen … an meinem Geburtstag … Andrej … Andrej …«
    Und dann weinte der Alte, riß seine Orden von der Brust, schleuderte sie auf die Straße … Es war der größte Abschiedsschmerz, den Lebedewka je erlebt hatte und wie es ihn auch nie wieder erleben würde.
    In dieser Nacht lag Walja wie ein gekrümmter Vogel in Jugorows Armen, sicher und warm und mit dem Gefühl, ein neuer, ein anderer Mensch zu sein. Nicht zu erklären war das. Nur eins wußte sie so sicher, wie jeden Morgen eine Sonne aufgeht und jeden Abend die Nebel von den Sümpfen über das Land ziehen: Wir werden nur gemeinsam leben können, nur ein Leben gibt es noch – du und ich … Igor und Walja … Der einzelne ist nichts!
    »Warum wollte er dich töten?« fragte sie. »Er war doch dein Freund.«
    »Wer kann ihn jetzt noch fragen? Plötzlich verrückt geworden muß er sein. Vielleicht der Schock über Meteljews Tod. Keiner wird es je wissen, Waljanka.«
    »Und Andrej? Warum hat er sich erschossen?«
    »Auch ihn kann keiner mehr fragen.«
    »Unsere Welt ist voller Rätsel …« Sie schmiegte sich ganz eng an Jugorow. »Ich verstehe das alles nicht mehr.«
    »Wie gut das ist.« Er küßte ihre Augen und legte seine Hände über ihre Brüste. Ein Schauer durchzog sie, er spürte es auf ihrer Haut. »Wie weise ist es eingerichtet, daß der Mensch nicht alles versteht trotz seiner Vernunft. Die Menschheit würde wahnsinnig werden … Laß uns schlafen, Walja …«
    Er drehte das Licht aus, starrte in der Dunkelheit gegen die
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