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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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für jede aufgetragene Speise ein Bibelwort, bis schließlich der Alte grollte: »Kyrill Vadimowitsch, verdirb mir nicht die Lust! Wenn ich die Bibel fressen will, komme ich zu dir …«
    Walja und Jugorow, die neben dem Alten einen Ehrenplatz am Tisch hatten, fiel es nicht auf, daß Andrej Nikolajewitsch unruhig wurde, immer wieder auf die Uhr starrte und schließlich den Tisch verließ. Auch kein anderer beachtete das oder ahnte gar, daß Andrej aus einer Ecke im Stall ein Gewehr holte und sich im Vorgarten, seitlich vom Eingang, hinter einem Strauch auf die Erde warf, das Gewehr in Anschlag brachte und so wartete, kaum zu sehen von der Straße und von der Tür her.
    Pünktlich um drei – aus dem Haus schallte schon Goldanskis Gesang, begleitet von einer Knopfharmonika, der Bajan – sah Andrej den deutschen Kübelwagen die Straße herunterkommen.
    Krasnikow war da. Seinen besten Anzug hatte er angezogen, als sei er wirklich zum Geburtstag des Alten gekommen, von dem er doch gar nichts gewußt hatte. Er stieg aus dem Wagen, ging bis zur Vorgartentür und blieb dort stehen. Unter seinem Busch hatte Andrej das Gewehr angelegt, Krasnikows Kopf lag gut in der Linie Kimme und Korn, der Zeigefinger krümmte sich am Abzug.
    Wir sind bereit, Krasnikow, sagte Andrej in sich hinein. Einer nach dem anderen … erst Jugorow, dann du.
    Walja, die zufällig am Fenster stand, während Goldanski sang und Korolew die Bajan drückte, Großväterchen glücklich neben seiner Frau saß und die Schwiegertochter in der Küchenecke den frischen Kuchen aufschnitt, sah mit Erstaunen, wie Krasnikow den Wagen bremste, ausstieg und zur Tür kam.
    »Noch einen Gast bekommen wir«, sagte sie. »Hohen Besuch, Großväterchen. Im besten Anzug, als seist du ein Bojar! Wo ist Andrej? Verstecken sollte er sich. Dann kann der neue Besuch hereinkommen. Ich spreche solange mit ihm …«
    Sie ging zur Tür und hörte hinter sich Jugorows Stimme.
    »Wer ist gekommen?« rief er. Neben der Bajan saß er und hatte nicht alles verstehen können. Außerdem sang Goldanski so laut und falsch, daß es ein wahrer Jammer war.
    »Krasnikow …«
    Wie ein Einschlag war's, als Jugorow jetzt den Namen hörte. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, Erkenntnisse wie Blitze, den Verrat begriff er – aber ihm war auch klar, daß Krasnikow noch nicht wußte, wer sein großer Gegner war. Er war gekommen, um ihn zu erkennen.
    »Stehenbleiben!« schrie er Walja zu. »Walja! Zurück! Zurück! Bleib stehen!«
    Aber es war zu spät. Im Flur war sie schon, stieß die Haustür auf und trat ins Freie. Hinter ihr brach mit einem Mißton die Bajan ab, Goldanskis Stimme versickerte, Rudenko und Schagin hielten Jugorow fest, der Walja nachstürzen wollte, Beljakow II bekreuzigte sich, ebenso seine Frau. Nur Großväterchen blickte sich ärgerlich um und sagte:
    »Was ist? Was ist denn? Die Pilze waren gut! Hab sie selbst kontrolliert. Wie ihr alle mit den Augen rollt … kackt mir nicht mein Häuschen voll!«
    Krasnikow zog das Kinn an, als er Walja aus dem Haus kommen sah. Auch ihn traf blitzartig die Erkenntnis der Wahrheit, und der Schlag war so ungeheuer, daß er meinte, der Boden unter seinen Füßen beginne zu schwanken. Plötzlich begriff er alles: die Sprengungen, die Niederlage nach der Geiselbefreiung, Nasarows Peitschenstriemen, Meteljews Verschwinden. Verstand, warum sie herumgetappt waren wie die Blinden, durchschaute das große Spiel, das Jugorow mit ihnen getrieben hatte, staunte über diesen unfaßbaren Mut und erkannte, wie winzig jetzt noch seine Chance war. Und diese schreckliche Erkenntnis riß wie eine große Woge alles in ihm weg, was einen Menschen erst zum Menschen macht … jegliches Gefühl.
    »Ah, Walja Borisowna«, sagte er und winkte. »Sie feiern? Welche Freude! Ein Gläschen werden wir gemeinsam trinken. Nicht mehr ausweichen können Sie vor einem guten Wodka.« Er öffnete die Gartentür, kam einen Schritt in den Vorgarten und steckte die rechte Hand in die Rocktasche. Der junge Beljakow unter dem Busch schwenkte den Lauf seines Gewehres mit.
    Walja kam Krasnikow entgegen. Noch eine Minute, dachte sie, dann hat Andrej sich versteckt. Und ahnte nicht, wie drinnen im Zimmer Jugorow verbissen gegen die Umklammerung von Rudenko und Schagin ankämpfte und sich losreißen wollte.
    »Holt sie zurück!« keuchte er. »Schagin, um Gottes willen, holt Walja zurück. Laßt mich hinaus zu ihm … kein Gast ist Krasnikow, kein Gratulant … mich sucht er, mich will
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