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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud
Autoren: Nicholas Meyer
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der ihm eigenen (auch innerhalb der Hypnose) gewohnheitsmäßigen Präzision zu beantworten.
    »Unser Hauslehrer.«
    »Ihr und Mycrofts Hauslehrer? Professor Moriarty?«
    »Ja«, die Antwort war wieder von unterdrücktem Schluchzen begleitet.
    »Ich verstehe.« Freud zog seine Uhrkette hervor und starrte sie unglücklich an, dann steckte er sie wieder ein. »Gut, Herr Holmes, schlafen Sie jetzt, schlafen Sie. Ich werde sie bald wecken, und Sie werden sich an nichts von dem erinnern, was ich Sie gefragt habe, an nichts . Haben Sie das verstanden?«
    »Ich sagte es schon.«
    »Gut. Schlafen Sie jetzt.«
    Freud beobachtete ihn eine Weile, um sicherzustellen, daß er ganz still war, dann stand er auf, kam durchs Zimmer und zog sich einen Sessel zu mir heran. Er kappte und entzündete schweigend eine neue Zigarre. Ich war in meinen eigenen Stuhl zurückgesunken.
    »Ein Mann verfällt nicht dem Rauschgift, weil es Mode ist oder ihm Spaß macht«, sagte er endlich und blinzelte mich durch den Rauch seiner Zigarre an. »Sie werden sich entsinnen, daß ich Sie einmal fragte, was ihn an die Droge herangeführt habe. Sie wußten keine Antwort, und Sie erkannten auch nicht die Bedeutsamkeit der Frage. Aber ich wußte sogleich, daß irgend etwas die gefährliche Angewohnheit ausgelöst haben mußte.«
    »Aber –«, ich warf einen Blick in Holmes’ Richtung, »hätten Sie es sich träumen lassen –?«
    »Nein. Ich habe niemals gedacht, daß es sich um so etwas handeln könnte. Aber, wie er selber sagen würde: Lassen Sie uns sehen, was diese Tatsachen erklären. Wir verstehen jetzt nicht nur den Ursprung seiner Sucht und den Grund für seine Berufswahl; wir begreifen auch seine Abneigung gegen Frauen und die Probleme, die er im Umgang mit ihnen hat. Auch sein Haß gegen Moriarty ist erklärt sowie Mycrofts geheimnisvolles Druckmittel gegen den Mann. Und wir wissen, warum Ihr Freund aus diesem kleinen Professor« – Freud betonte den Titel mit der Abfälligkeit, die ihm gebührte – »den ›Napoleon des Verbrechens‹ gemacht hat. Unter dem Einfluß des Kokains nimmt Moriartys außereheliche Beziehung zu Herrn Holmes’ Mutter ihre wahren emotionalen Proportionen an – und die sind ohne Grenzen!« Er lehnte sich vor und gestikulierte mit der Zigarre, als wolle er damit seiner Rede Nachdruck verleihen. Dann lehnte er sich zurück und ließ mir Zeit, seine Gedankengänge zu verarbeiten. »Natürlich«, fuhr er fort, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ich ihm soweit folgen konnte, »hat er alle diese Schlußfolgerungen tief in seiner Seele vergraben – in einem Bereich, den ich vorläufig mit dem medizinischen Begriff ›Unterbewußtsein‹ bezeichnet habe – und er wird diese Gefühle sich selbst nie eingestehen, aber dennoch ihre Symptome zeigen – die Berufswahl, die Indifferenz gegenüber Frauen (von Ihnen mehrfach beschrieben, Doktor!) und schließlich seine Vorliebe für das Rauschgift, unter dessen Einfluß seine wahren, innersten Gefühle hervortreten.«
    Die verblüffende Wahrheit von Dr. Freuds Behauptung ging mir schneller auf, als ich brauchte, um sie niederzuschreiben. Und sie erklärte auch Mycroft Holmes’ exzentrische Weltflucht an einen Ort, wo selbst das Sprechen verboten war, und das eiserne Junggesellentum der beiden Brüder. Was Professor Moriarty und seine Rolle in der Geschichte anging, so machte ich mir schaudernd klar, daß Holmes ihn letzten Endes in gewisser Weise doch richtig beurteilt hatte. Ich wandte mich an Sigmund Freud.
    »Sie sind der größte aller Detektive.« Ich wußte sonst nichts zu sagen.
    »Ich bin kein Detektiv.« Freud schüttelte den Kopf und lächelte sein trauriges, weises Lächeln. »Ich bin ein Arzt, der die gestörte Seele betreut.« Der Unterschied schien mir nicht bedeutend.
    »Und was können wir für meinen Freund tun?«
    Er seufzte und schüttelte erneut den Kopf.
    »Nichts.«
    »Nichts?« Ich war sprachlos. Hatte er mich so weit gebracht, nur um jetzt einen Rückzieher zu machen?
    »Nichts. Ich kann an diese Gefühle nur mit dem plumpen und ineffektiven Mittel der Hypnose herankommen.«
    »Aber ineffektiv?« Ich protestierte und griff nach seinem Ärmel. »Sicherlich –«
    »Weil der Patient in diesem Fall nicht willens – ich würde sogar sagen unfähig – wäre, die Tatsachen in bewußtem Zustand zu akzeptieren. Er würde mir nicht glauben. Er würde Ihnen nicht glauben. Er würde uns der Lüge bezichtigen.«
    »Aber –«
    »Geben Sie es doch zu,
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