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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
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keinen Grund zu der Annahme, dass er sich geändert und zu einem anständigen menschlichen Wesen entwickelt hätte.
    Damals hatte er als Ratgeber in allen Lebenslagen für eine Illustrierte geschrieben und als Liebling in Talkshows geglänzt, wozu er sich aufgrund seiner dazugehörigen Praxis in Beverly Hills und eines Repertoires von Banalitäten berechtigt fühlte, die er in einem pseudowissenschaftlichen Jargon von sich gab.
    Eine Kolumne von ihm war einmal monatlich in einem Frauenmagazin erschienen, das in jedem Supermarkt auslag - die billige Wegwerfsorte mit der neuesten Wunderdiät zum Abnehmen, dicht gefolgt von Rezepten für Schokoladecremetorten und Ermahnungen, »man selbst« zu sein, kombiniert mit sexuellen IQ-Tests, die in allen, die sich dem Martyrium unterzogen, ein Gefühl der Unzulänglichkeit zurücklassen mussten.
    Nun war Kruse also Professor geworden, der Stiftungsgelder verwaltete. Er hatte sich wenig Mühe gegeben, seine mangelhafte Forschungstätigkeit zu kaschieren - etwas, was mit menschlicher Sexualität zu tun hatte, aber nie auch nur das geringste Ergebnis brachte. Aber man hatte auch keine akademischen Wunderdinge von ihm erwartet, er hatte schließlich nicht zur Fakultät gehört, nur als »Gastdozent« mitgemacht. Einer von unzähligen Praktikern, die sich durch eine Verbindung mit der Universität akademische Ehren erhofften.
    Diese Gastdozenten hielten gelegentliche Vorträge über ihre Spezialgebiete - in Kruses Fall war es Hypnose und eine manipulative Art von Psychotherapie gewesen, die er Kommunikationsdynamik nannte - und dienten den graduierten Studenten in den klinischen Semestern als Therapeuten und Tutoren. Eine hübsche Art von Arbeitsteilung, weil sie den »richtigen« Professoren Zeit für ihre Anträge auf Stiftungsgelder und für ihre Ausschuss-Sitzungen ließ.
    Als Gegenleistung erhielten die »Gäste« Parkplätze, Freikarten für Footballspiele und die Zulassung zum Fakultätsklub.
    Von da zum Blalock-Professor. Unglaublich.
    Wann hatte ich Kruse zum letzten Mal gesehen? Ungefähr vor zwei Jahren auf dem Campus. Wir waren aneinander vorbeigegangen und hatten so getan, als bemerkten wir einander nicht.
    Er im Maßanzug aus Tweed mit Lederflecken an den Ellbogen und die rauchende Bruyèrepfeife im Mund, an jedem Ellbogen eine Studentin, steuerte auf das Psychologie-Gebäude zu. Tiefgründiges vom Stapel lassend, während er an ihnen herumgrabschte.
    Ich sah mir die Silberschrift noch mal genauer an. Cocktails um vier. Zu Ehren des Häuptlings.
    Hatte wahrscheinlich etwas mit einer Holmby-Hills-Connection zu tun, aber trotzdem entzog sich das Ganze dem Versuch einer rationalen Erklärung.
    Ich sah nach, wann die Party stattfinden sollte - in zwei Tagen -, und las dann noch einmal die Adresse unten auf der Einladung.
    Skylark. Himmelslerche. Die ganz Reichen tauften ihre Häuser, als wären es Kinder.
    La Mar Road, keine Hausnummer. Übersetzung: Uns gehört die ganze Straße, ihr Bauern.
    Ich stellte mir die Szene in zwei Tagen vor: dicke Autos, schwache Drinks und öde Witzeleien auf dollargrünem Rasen. Nicht meine Art von Vergnügen. Ich warf die Einladung in den Müll und vergaß Kruse. Vergaß die alten Zeiten.
    Aber nicht lange.

2
    Ich schlief schlecht und erwachte am Freitag schon bei Sonnenaufgang. Da ich an diesem Tag keine Patienten hatte, machte ich mich über die liegengebliebene Arbeit her: schickte Freund Mal per Boten das Videoband von Darren, schrieb ein paar andere Berichte zu Ende, bezahlte und verschickte Rechnungen, fütterte die Koi, fischte mit einem Netz den Dreck aus ihrem Teich und putzte das Haus, bis es glänzte. Mittags war ich mit allem fertig, und so blieb mir der Rest des Tages, um mich in meinem Elend zu suhlen.
    Ich hatte keinen Appetit, versuchte zu joggen, wurde die Beklemmung in der Brust nicht los und gab nach einer Meile auf. Wieder daheim, schluckte ich so hastig ein Bier, dass mir das Zwerchfell wehtat, dann trank ich noch eins und nahm den Sechserpack ins Schlafzimmer mit. Ich saß im Unterzeug da und sah die Bilder über den Fernseher flimmern. Seifenopern: wie perfekt aussehende Leute leiden. Publikumsbeteiligung: wie real aussehende Leute verblöden.
    Meine Gedanken schweiften ab. Ich starrte aufs Telefon, griff nach dem Hörer. Zog den Arm zurück.
    Zuerst hatte ich geglaubt, das Problem hätte etwas mit ihrem Beruf zu tun - dass sie die Hightech-Welt aufgegeben und sie gegen die mühselige, schlecht bezahlte eines
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