Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
fremder geworden - höflich miteinander plaudernde entfernte Bekannte. Etwas musste geschehen. Anfang Mai geschah es dann.
    Ein vielversprechender Sonntagmorgen. Sie war am Samstag zu später Stunde vorbeigekommen, um ein paar alte Zeichnungen abzuholen, hatte schließlich die Nacht mit mir verbracht und mich mit einer fachlichen Entschlossenheit geliebt, die mich erschreckte, aber besser als nichts war.
    Als ich aufwachte, streckte ich die Hand aus, um sie zu berühren, und spürte nur Bettwäsche. Geräusche drangen aus dem Wohnzimmer. Ich sprang aus dem Bett und traf sie angezogen, die Handtasche über der Schulter, auf dem Weg zur Tür.
    »Guten Morgen, Baby«
    »Guten Morgen, Alex.«
    »Gehst du?«
    Sie nickte. »Warum so eilig?«
    »Ich habe eine Menge zu tun.«
    »Am Sonntag?«
    »Sonntag, Montag, spielt keine Rolle.« Sie legte die Hand auf den Türknauf. »Ich habe Saft gemacht, einen Krug voll, er steht im Kühlschrank.«
    Ich ging zu ihr hinüber und legte die Hand auf ihr Handgelenk.
    »Bleib doch noch ein bisschen.«
    Sie wich zurück. »Ich muss wirklich los.«
    »Komm schon, gönn dir doch mal eine Verschnaufpause.«
    »Ich brauche keine Verschnaufpause, Alex.«
    »Bleib wenigstens noch ein bisschen, und lass uns reden.«
    »Worüber?«
    »Über uns.«
    »Da gibt es nichts zu reden.«
    Ihre Gleichgültigkeit war gezwungen, da brannten bei mir die Sicherungen durch. Monatelange Enttäuschung explodierte in einem wütenden Monolog.
    Sie sei egoistisch. Von sich selbst besessen. Was das für ein Leben sei - mit einer Eremitin? Was hätte ich getan, um eine solche Behandlung zu verdienen? Dann folgte eine Liste all meiner Tugenden, jedes selbstlosen Dienstes, den ich ihr seit dem Tag unseres Kennenlernens erwiesen hatte.
    Als ich damit fertig war, legte sie die Handtasche hin und nahm auf der Couch Platz. »Du hast recht. Wir müssen miteinander reden.«
    Sie starrte aus dem Fenster.
    Ich sagte: »Ich höre.«
    »Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Dir fällt das Reden leicht, es gehört ja zu deinem Beruf, Alex. Auf der Ebene kann ich mich nicht mit dir messen.«
    »Niemand braucht sich mit irgendjemandem zu messen. Sprich einfach mit mir. Sag mir, was du denkst.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, ohne wehzutun.«
    »Mach dir darüber keine Sorgen. Sprich’s einfach aus.«
    »Wie Sie meinen, Doktor.« Dann: »Tut mir leid, es fällt mir nun einmal sehr schwer.«
    Ich wartete.
    Sie ballte die Fäuste, streckte die Hände wieder aus. »Sieh dich in diesem Zimmer um - die Möbel, die Kunstgegenstände - alles genauso wie damals, als ich es zum ersten Mal sah. Perfekt wie ein Bilderbuch - dein perfekter Geschmack. Fünf Jahre lang war ich bei dir in Pension.«
    »Wie kannst du so etwas sagen? Du bist hier zu Hause.«
    Sie wollte antworten, schüttelte den Kopf und sah weg.
    Ich stellte mich in ihre Blickrichtung und deutete auf den Eschenholztisch im Esszimmer. »Das einzige Möbelstück, das mir etwas bedeutet! Weil du es gebaut hast.«
    Schweigen.
    »Ein Wort von dir, und ich mache aus dem allen Kleinholz, Robin. Wir fangen wieder ganz von vorn an. Zusammen.«
    Sie stützte das Gesicht in die Hände und saß eine Weile so da, und schließlich hob sie den Kopf, mit nassen Augen. »Es geht hier nicht um Innenarchitektur, Alex.«
    »Worum geht es dann ?«
    »Um dich. Darum, was du für eine Art von Person bist. Überwältigend. Erdrückend. Du hast mich nie gefragt, ob ich etwas anderes wollte als du - ob ich irgendwelche eigenen Ideen hätte.«
    »Ich habe nie gedacht, dass es dir auf so etwas ankäme.«
    »Ich habe niemals angedeutet, dass es mir darauf ankommt - es liegt auch an mir, Alex. Akzeptieren, mitmachen, sich in deine vorgefassten Konzepte einpassen. Dabei war mein Leben eine einzige Lüge, wenn ich mich als stark und selbstständig sah.«
    »Du bist stark.«
    Sie lachte belustigt auf. »Das hat mein Daddy immer zu mir gesagt: Du bist ein starkes Mädchen, ein schönes starkes Mädchen. Er bekam immer Wutanfälle, wenn ich kein Selbstvertrauen zeigte, dann brüllte er mich an und sagte mir wieder und wieder, ich sei anders als andere Mädchen. Stärker als sie. Stark hieß für ihn, dass man etwas mit den Händen tat, etwas schuf. In dem Alter, in dem andere Mädchen mit ihren Barbiepuppen spielten, erfuhr ich, wie man eine Bandsäge bedient. Die Knöchel hab ich mir bis auf die Knochen abgeschmirgelt. Gelernt, wie man eine perfekte Gehrfuge baut. Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher