Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
hieß stark sein. Jahrelang hab ich’s geglaubt. Und jetzt sitze ich hier und sehe mich endlich mal genau im Spiegel an und erblicke nur eine schwache Frau, die sich von einem Mann aushalten lässt.«
    »Hatte der Aufenthalt in Tokio etwas damit zu tun?«
    »Der Tokio-Aufenthalt hat mich zum Nachdenken gebracht darüber, was ich vom Leben will, und da habe ich gesehen, wie weit ich davon entfernt war - wie sehr ich immer jemand anderem gegenüber verpflichtet gewesen bin.«
    »Baby, ich wollte dir nie Steine in den Weg legen -«
    »Das ist das Problem! Ich bin ein verdammtes Baby! Hilflos und bereit, mich von Doktor Alex therapieren zu lassen.«
    »Ich sehe dich nicht als Patientin«, sagte ich. »Ich liebe dich, Gott im Himmel.«
    »Liebe«, sagte sie. »Was zum Teufel das auch heißen mag.«
    »Ich weiß, was es für mich heißt.«
    »Dann bist du einfach ein besserer Mensch als ich. Womit wir bei der Crux des Problems wären, klar? Doktor Perfekt. Dr. Problemlöser. Sieht gut aus, hat was auf dem Kasten, Charme, Geld, all diese Patienten denken, du bist Gott.«
    Sie stand auf und ging hin und her. »Verdammt, Alex, als ich dich kennenlernte, hattest du Probleme - du warst ›ausgebrannt‹, voller Selbstzweifel. Du warst verletzlich, und ich konnte etwas für dich tun. Ich hab dir da durchgeholfen, Alex. Ich war einer der Hauptgründe, dass du dich da durchgekämpft hast, ich weiß es.«
    »Ja, du, und ich brauche dich immer noch.«
    Sie lächelte. »Nein. Jetzt bist du geheilt, mein Liebling. Perfekt gestimmt. Und für mich gibt’s nichts mehr zu tun.«
    »Das ist der helle Wahnsinn. Ich habe Qualen ausgestanden, dich nicht mehr zu sehen.«
    »Vorübergehende Reaktion«, sagte sie. »Du wirst schon damit fertig.«
    »Du musst mich für einen ziemlich oberflächlichen Kerl halten«, meinte ich.
    Sie ging noch ein bisschen hin und her, schüttelte den Kopf. »Gott. Ich höre mich reden, und mir wird klar, dass ich einfach nur eifersüchtig bin, nicht wahr? Es ist kindische, dumme Eifersucht. Genauso wie früher mein Gefühl gegenüber Mädchen, die beliebter waren als ich. Aber ich kann nicht dagegen an - du bist rundum so verdammt perfekt: Läufst jeden Tag deine drei Meilen, duschst, arbeitest ein bisschen, löst deine Schecks ein, spielst Gitarre, liest deine Zeitungen. Fickst mich, bis wir beide kommen, dann schläfst du ein und grinst. Du kaufst die Tickets, wir fliegen nach Hawaii, machen Urlaub. Du kommst mit einem Picknickkorb, wir essen und trinken. Es ist ein Fließband, Alex, du drückst auf die Knöpfe, und wenn ich in Tokio eins gelernt habe, dann dies: Ich will kein Fließband. Das Verrückte daran ist ja, dass es ein herrliches Leben ist. Wenn ich dich ließe, würdest du ewig alles für mich tun, und mein Leben wäre ein einziger Traum mit Zuckerguss. Ich kenne viele Frauen, die dafür einen Mord begehen, aber für mich ist es nicht das Richtige.«
    Unsere Augen begegneten einander, ihr Blick tat mir weh, und ich wendete das Gesicht ab.
    »O Gott«, sagte sie. »Ich quäle dich. Ich hasse das einfach.«
    »Schon gut. Sprich weiter.«
    »Das ist alles, Alex. Du bist ein wundervoller Mann, aber mein Leben mit dir jagt mir allmählich Angst ein. Ich bin in Gefahr zu verschwinden. Du hast von Heirat gesprochen. Wenn wir heirateten, verlöre ich sogar noch mehr von mir selbst. Unsere Kinder würden in mir jemanden sehen, der langweilig, deprimiert und verbittert ist. Währenddessen würde Daddy da draußen in der weiten Welt Heldentaten vollbringen. Ich brauche Zeit, Alex - Platz zum Atemholen. Um mir über das, was ich bin und was ich sein will, klar zu werden.«
    Sie bewegte sich zur Tür. »Ich muss jetzt gehen. Bitte.«
    »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, sagte ich. »Und so viel Platz, wie du brauchst. Nur - mach bitte nicht Schluss.«
    Sie stand zitternd in der Türöffnung. Lief auf mich zu, küsste mich auf die Stirn und war weg.
    Zwei Tage später kam ich nach Hause und fand einen Brief auf dem Eschenholztisch:
    Lieber Alex,
bin in San Luis. Meine Kusine Terry hat ein Baby gekriegt.
Ich will ihr helfen, bin in etwa einer Woche wieder da.
Hass mich nicht.
Gruß R.

3
    Einer der Fälle, die ich gerade abgeschlossen hatte, handelte von einem fünf Jahre alten Mädchen - Geisel in einem verbissenen Kampf um das Sorgerecht zwischen einem Hollywoodproduzenten und dessen vierter Frau.
    Von ihren Anwälten zum Krieg ermuntert, war es den Eltern zwei Jahre lang nicht gelungen, eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher