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Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story
Autoren: Sally Rippin
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Zigarettenkippen und Kürbiskernschalen, das zu seinen Füßen gelegen hatte, war weg. Nirgends gab es eine Spur von ihm. Die Lücke, die er hinterlassen hatte, war geschlossen worden, als hätte er nie existiert.

Kapitel 28
    Der Packen Papier, hundertsechzig Seiten stark, glitt in den Umschlag. Dreizehn Monate später war dies Annas letzte Hoffnung, ihn zu finden. Ihre Geschichte, seine Geschichte, alles hatte als verzweifelter Versuch begonnen, die Dinge zu ordnen, sich davon freizumachen, aber als sie alles zusammensetzte … durfte sie es wagen, das Ergebnis ein Buch zu nennen?
    Anna war Ende Mai 1989 nach Australien zurückgekehrt. Ein paar Tage später, am 4. Juni, schaltete sie die Nachrichten ein und sah Panzer über den Platz des Himmlischen Friedens in Beijing rollen, gegen die Studenten, die dort friedlich für die Demokratie protestierten. Entsetzt schaute sie zu, wie die Soldaten von verschiedenen Seiten auf den Platz stürmten und wahllos in die Menge der unbewaffneten Demonstranten schossen. Der Nachrichtensprecher erklärte, dass in diesem Massaker Hunderte von Menschen getötet worden seien, viele von ihnen unbeteiligte Zuschauer. In den Tagen, die nun folgten, las Anna jede Zeitung, derer sie habhaft werden konnte. Ihr Magen drehte sich um, wenn sie die Berichte von Truppen las, die in den Universitäten nach den Rädelsführern suchten, Menschen folterten und verprügelten und all jene töteten, die verdächtig waren, die Proteste organisiert zu haben. Im Blickfeld standen besonders die Kunstakademien, denen man unterstellte, dass dort rebellisches Gedankengut gepflegt wurde. Viele Studenten flohen über die Grenze.
    Während der ersten Tage rief Anna immer wieder in der Kunstakademie von Shanghai an, wollte nach Chenxi fragen, aber es ging nie jemand an den Apparat. Selbst ihr Vater konnte Anna nicht erklären, was in China vor sich ging, weil CNN der einzige Nachrichtensender war, den er bekam. Den chinesischen Medien war verboten worden, über das Ereignis zu berichten. Wie die meisten Ausländer, die in Shanghai und Beijing lebten, verließ er das Land mit Sonderflügen, die vom australischen Konsulat organisiert wurden. Erst, wenn sich die Lage in China wieder beruhigt hatte, würde er zurückkehren. Anna durchlebte entsetzliche Wochen, aber wie alle tragischen Ereignisse verschwanden auch die Unruhen in China schon bald wieder von den Bildschirmen und wurden durch aktuellere Themen ersetzt.

    Anna zögerte, ehe sie die Briefmarke aufklebte. Wenn ihr Buch veröffentlicht werden würde, wenn es sich gut verkaufen würde, bestand die Möglichkeit, dass Chenxi es lesen würde. Es war ein weit hergeholter Gedanke, aber es war alles, was sie noch hatte. Sie musste es wissen. Nichts war schlimmer als die Ungewissheit.
    Aus der kleinen silbernen Schnupftabakdose, die auf ihrem Schreibtisch stand, zog Anna ein zerschlissenes Stück Papier. Sie faltete es auf und las die Worte, die sie auswendig kannte. Jedes Mal, wenn sie die Nachricht betrachtete, suchte sie nach Hinweisen, als ob diese plötzlich wie durch Zauberhand erscheinen würden, aber die Worte blieben so rätselhaft wie damals vor einem Jahr, als der Zettel sie erreicht hatte.
    Hallo Anna,
    ich sehen Alter Wolf.
    Er mir sagen du nicht mehr schreiben. Bitte.
    Unser Freund jetzt frei.
    Dein Freund
    Lao Li
    Anna faltete den Zettel wieder zusammen und legte ihn zurück in die Dose. Dann verschloss sie den braunen Umschlag und küsste ihn. Er sollte ihr Glück bringen. Sie stand auf, und dabei fiel ihr der schwere Umschlag aus der Hand und schlug mit einem Knall auf dem Boden auf. Erschrocken fing das Baby in seiner Wiege an zu schreien. Sie nahm es hoch und legte es an ihre Brust.
    Anna streichelte das dichte schwarze Haar ihres Sohnes und wiegte ihn, bis er wieder eingeschlafen war. Draußen, unter einem strahlend blauen Himmel, schnatterte eine Elster. Sie schaute zu dem Gemälde auf, das über ihrem Schreibtisch hing. Aus der chinesischen Landschaft blickte ihr ihr eigenes Gesicht entgegen.

Nachwort
    Ich war neunzehn, als ich anfing, Ideen für »Shanghai Love Story« zu sammeln. Von 1989 bis 1992 lebte ich in China und studierte die traditionelle chinesische Malerei. Während meines ersten Jahrs in Shanghai fanden Einzelheiten über mein Leben Eingang in Tagebucheinträge und Kurzgeschichten. Ich wusste, dass Fotos niemals die Erfahrungen
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