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Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story
Autoren: Sally Rippin
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jedes Wort hörte. »Unter gar keinen Umständen werde ich dir erlauben, dieses Gebäude zu betreten. Weder heute, weder morgen, noch irgendwann. Niemals. Und jetzt mach, dass du wegkommst!«
    Chenxi schüttelte voller Verachtung den Kopf und zog den Brief aus seiner Hosentasche. Zusammengefaltet, wie er war, schimmerte doch der offizielle rote Stempel durch das dünne Reispapier. Der alte Mann schnappte sich den Zettel und betrachtete die kunstvolle Kalligrafie.
    Â»Shanghai Akademie der Bildenden Künste«, las er, nachdem er das Schreiben eine volle Minute lang studiert hatte. »Ha! Das hätte ich mir ja denken können – ein Kunststudent«, schnaubte er.
    Widerstrebend öffnete er das Tor. Chenxi schob sein Fahrrad neben sich her und zog dem Mann im Vorbeigehen das Blatt Papier aus der Hand.
    Â»Das nächste Mal kommst du nicht rein, mein Freund! Dafür werde ich sorgen!«, rief er Chenxi nach. »Ich werde mir dein Gesicht merken!«
    Â»Get fucked!«, murmelte Chenxi leise.

    Â»Sie müssen Chenksi sein«, sagte Mr. White und streckte die Hand aus. Auch nach drei Jahren in Shanghai, wo er seine Maschinenbaufirma gegründet hatte, kam er noch nicht mit der Aussprache chinesischer Namen zurecht.
    Â»Chen-si«, korrigierte ihn Chenxi und trat ein. Er gab sich keine Mühe, seine Neugier angesichts seines allerersten Besuchs in der Wohnung eines Ausländers zu verbergen.
    Â»Ja, ja, nun … setzen Sie sich, setzen Sie sich«, sagte Mr. White und deutete auf den Wohnbereich. »Anna, meine Tochter, wird gleich da sein.«
    Chenxi ließ sich Zeit. Er schlenderte hinter Mr White durch den Flur, blieb stehen, um eine antike Vase in die Hand zu nehmen und die chinesischen Gemälde an der Wand zu betrachten. Vor einem tadellos restaurierten Schränkchen aus Rosenholz blieb er stehen und strich mit den Fingern über die Perlmuttintarsien. »Wie viel Sie bezahlen?«
    Mr White verschlug es fast die Sprache. Ȁhm … dreitausend Yuan, glaube ich.« Als er die Verachtung im Gesicht des jungen Mannes bemerkte, fügte er schnell hinzu: »Ich weiß, ich weiß, das war viel zu viel.« Er setzte sich auf eins der Sofas, die mit elfenbeinfarbener Seide bezogen waren, und bedeutete Chenxi, es ihm gleichzutun.
    Stattdessen ging Chenxi gemächlich zum Fenster und hob eine blauweiß gemusterte Vase vom Sims auf. Er hielt sie an sein Ohr und klopfte mit dem Finger leicht gegen die Keramik. Mit geschlossenen Augen lauschte er der Resonanz. Mr White zuckte zusammen.
    Als Anna den Raum betrat, war ihr Vater auf die Sofakante vorgerutscht. Sein Gesicht war angespannt. Sie schaute sich nach dem Grund für sein Unbehagen um, aber instinktiv hatte ein Teil von ihr bereits die Anwesenheit des jungen Mannes registriert.
    Ihr Vater räusperte sich. »Chen-si. Meine Tochter …« Der junge Mann drehte sich um.
    Anna stand wie erstarrt da.
    Â»Ming«, sagte Chenxi.
    Â»Wie bitte?«, sagten Mr White und Anna wie aus einem Mund.
    Â»Ming. Ming-Dynastie«, sagte Chenxi ungeduldig.
    Â»Nun, ja. Ja, ich vermute, das stimmt …«, stammelte Mr White.
    Â»Wie viel Sie bezahlen?«
    Â»Was? Oh, ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Ich habe sie auf dem Antiquitätenmarkt gekauft. Hören Sie«, fuhr er nervös fort. »Wir sollten wohl eher darüber reden, was Anna für den Kunstunterricht braucht. Sie hat ein Fahrrad, dafür habe ich gesorgt, obwohl ich meine, dass sie in der ersten Woche wohl besser mit dem Taxi fährt. Ich weiß, du bist achtzehn, Liebling, aber es ist nicht so einfach, sich in Shanghai zurechtzufinden. Chen-si, ich dachte, Sie könnten heute mit Anna ein paar Pinsel besorgen, Papier, was sie so braucht. Hier«, sagte er und schob Chenxi ein Bündel Devisenscheine in die Hand. Er vermutete, dass der Junge so etwas noch nie besessen hatte. »Das sollte reichen.«
    Chenxi blätterte durch die knisternden Scheine und schaute dann grinsend auf. »Damit wir können ganzes Geschäft kaufen!«
    Mr White war an die Unverblümtheit der Einheimischen gewöhnt, aber dieser hier raubte ihm schier den Atem. »Damit könnt ihr auch ein Taxi bezahlen, wenn ihr eins braucht und … nun, alle sonstigen …« Er wollte »Ausgaben« sagen, überlegte es sich aber anders, sorgfältig darauf bedacht, Worte zu wählen, die ein Chinese verstehen konnte.
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