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Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story
Autoren: Sally Rippin
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und Emotionen einfangen konnten, wie Worte es vermochten. Aber erst viele Jahre später, als ich in Frankreich lebte, fing ich an, die einzelnen Teile zu einem Roman zusammenzusetzen.
    Viele der Erlebnisse während meiner Studienzeit in Shanghai und etliche Menschen, die ich dort kennenlernte, haben diese Geschichte inspiriert. Die Haupthandlung, die Liebesgeschichte zwischen Anna und Chenxi, ist erfunden, aber die Figur des Chenxi basiert lose auf einem engen Freund von mir, der ein fantastischer Maler ist und in Europa lebt.
    1997 beendete ich das Manuskript, und 2002 erschien das Buch, aber in einer anderen Form als die, die ihr gerade gelesen habt. Als ich kürzlich die erste Ausgabe wieder las – zum ersten Mal seit Jahren –, merkte ich, dass ich als junge und unerfahrene Schriftstellerin Angst vor meinem Publikum hatte. Nicht so sehr vor den jungen Lesern und Leserinnen selbst, sondern vor den Eltern, den Lehrern und den Bibliothekaren, unter Kinder- und Jugendbuchautoren auch als »Torwächter« bekannt.
    Ich weiß noch, dass ich Flüche und Schimpfworte ausgelassen und Sex-Szenen und Erklärungen zur chinesischen Politik aus dem ursprünglichen Manuskript gestrichen habe, aus Angst, unter den Bann dieser Torwächter zu fallen und niemals mein Publikum zu erreichen. Ich machte mir damals auch Sorgen, dass ein Roman mit einer deutlichen politischen Stellungnahme eine Diskussion heraufbeschwören würde, für die ich in diesem Alter noch nicht die Kraft hatte.
    Jetzt merkte ich, welche Kompromisse ich bei der ersten Version von »Shanghai Love Story« gemacht habe, und zwar durch meine eigene Zensur – ein Paradoxon, wenn man bedenkt, dass es in meinem Roman um künstlerische Freiheit geht. Ich weiß auch, nicht zuletzt, weil mein ältester Sohn jetzt ein Teenager ist, dass neugierige junge Menschen überall auf der Welt zu jenen Büchern greifen, die bereit sind, Risiken einzugehen.
    Es geschieht nicht oft, dass ein Autor die Gelegenheit bekommt, ein Buch umzuschreiben, nachdem es veröffentlicht wurde. Voller Begeisterung und gleichzeitig mit beklommenem Herzen fing ich an, »Shanghai Love Story« umzuarbeiten. Dank der Ermutigung meiner Verleger änderte ich den Namen der Protagonistin, um sie mit neuen Augen sehen zu können, und veränderte sogar die wichtige Entscheidung, die sie am Ende der Geschichte treffen muss. Ich beschloss, diesmal nichts auszulassen: keine Flüche, nicht den Sex und – insbesondere – nicht die politische Situation.
    Als ich das Buch zum ersten Mal schrieb, war ich unsicher, ob ich das entsetzliche Massaker am 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing erwähnen sollte. Es war noch nicht viel Zeit seitdem vergangen, und in China ist dieses Ereignis immer noch tabu. Obwohl ich mit vielen meiner Kommilitonen gut befreundet war, war dies ein Thema, das sie nur ungern mit mir diskutierten, aus Angst, Schwierigkeiten mit den Behörden zu bekommen.
    Fast zwanzig Jahre später konnte ich die Ereignisse in der Zeit kurz vor den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens spielen lassen, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte. Das bedeutete, dass ich viele Einzelheiten in dem Roman verändern musste, und besonders das Ende, das sich jetzt auf das Massaker bezieht. Hunderte, womöglich Tausende Menschen wurden getötet, aber aufgrund der Tatsache, dass die Regierung die Medien in einem eisernen Griff umklammert hält, wird man die genaue Zahl wohl nie erfahren.
    Während ich die Einzelheiten für dieses neue Ende recherchierte, war ich schockiert, als ich merkte, dass – anders als in Bezug auf die Kulturrevolution, über die Informationen frei zugänglich sind – die Ereignisse um den 4. Juni 1989 aus allen Medien innerhalb des kommunistischen Chinas gelöscht wurden. Das schließt Bücher ein, Zeitschriften, Zeitungen und Websites. Die chinesische Regierung hat den 4. Juni 1989 mit einem Bann belegt.
    Das heißt aber nicht, dass das Massaker in Vergessenheit geraten ist. Jedes Jahr am Jahrestag lässt die Regierung massive Sicherheitskräfte auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufmarschieren, um dafür zu sorgen, dass es zu keinen öffentlichen Trauerkundgebungen kommt. Dissidenten werden in dieser Zeit unter Hausarrest gestellt. Aber in Hongkong versammeln sich Tausende zu einer Mahnwache bei Kerzenlicht im
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