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Mein irischer Held

Mein irischer Held

Titel: Mein irischer Held
Autoren: MICHELLE WILLINGHAM
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1. KAPITEL
    Irland 1171
    Genevieve de Renalt keuchte. Jeder Atemzug brannte ihr in der Lunge. Jeder Muskel ihres Körpers schien gegen die Bewegung zu protestieren. Aber sie wollte nicht aufgeben. Es war allein ihrer Willenskraft zu verdanken, dass sie nicht zusammenbrach. Ihrer Willenskraft und der Hoffnung, ihm zu entrinnen . Denn mit jedem Schritt, den sie tat, kam sie der Freiheit näher.
    Dann hörte sie hinter sich Hufgetrappel. Sie wusste, dass nur er es sein konnte. Er hatte die Verfolgung aufgenommen.
    „Du Dummkopf“, schalt sie sich selbst. Sie wusste, dass sie ein Pferd gebraucht hätte, warme Kleidung, einen kleinen Vorrat an Lebensmitteln und Geld, um ihm zu entkommen. Aber sie hatte keine Zeit gehabt, irgendwelche Vorbereitungen zu treffen. Als sie eine Gelegenheit sah, zu fliehen, hatte sie sie, ohne nachzudenken, ergriffen. Sie hatte gar nicht anders handeln können, denn im Allgemeinen wurde sie gut bewacht. Daher war sie sicher gewesen, dass eine solche Chance sich nur ein einziges Mal bot. Sie musste sie ergreifen, wenn sie ihrem Verlobten Sir Hugh Marstowe entrinnen wollte.
    Der Gedanke an Hugh schmerzte beinahe ebenso sehr wie das Atmen oder das Laufen. Einst hatte sie ihn geliebt. Das Leben an seiner Seite war ihr wie ein wunderschöner Traum erschienen. Aber der Traum hatte sich in einen Alptraum verwandelt.
    Trotz aller Angst und Erschöpfung fiel Genevieve auf, dass ihr Verfolger sein Pferd zurückhielt. Zweifellos hätte er sie längst einholen können. Aber vermutlich genoss er es, mit ihr zu spielen. Sie musste an einen Raubvogel denken, der über seinem Opfer kreist, ehe er zustößt. Oder an eine Katze, die die Maus belauert, ehe sie angreift. Himmel, während des gesamten letzten Monats hatte sie sich wie eine hilflose Maus in den Fängen des Katers gefühlt. Hugh hatte ihr bewiesen, wie mächtig er war. Sie durfte ihm nicht erneut in die Hände fallen.
    Jeder Schritt war inzwischen zur Qual geworden. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange weiterlaufen konnte. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde sie aufgeben müssen. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
    Wenn Hugh sie ergriff und seine Bemühungen, sie zu einer richtigen Ehefrau zu machen, wieder aufnahm, würde sie zerbrechen. Sie würde allen Mut, allen Widerspruchsgeist verlieren, sie würde zu einer leeren Hülle werden, einer Frau ohne Eigenschaften. Sie würde sterben.
    Ihr war schwindelig vor Anstrengung. Ihre Beine wollten nachgeben. Sie stolperte, streckte die Hand aus, um sich irgendwo zu stützen, und griff in die Dornen eines Brombeerstrauchs. Der Schmerz ließ einen Moment lang ihre Schwäche vergessen. Sie bemerkte, dass das Licht schwächer geworden war. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Würde die Dunkelheit rechtzeitig hereinbrechen, um sie zu beschützen?
    „Genevieve!“
    Hughs Stimme jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie musste wissen, wie weit er noch entfernt war. Rasch wandte sie sich um. Er hatte sein Pferd zum Stehen gebracht. Er sah groß und stark aus. Ritterlich. Aber sein Anblick ließ sie erneut erzittern. Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und rannte weiter.
    Das Unterholz wurde dichter, doch es gelang ihr, sich einen Weg hindurchzubahnen. Unvermutet erreichte sie eine Lichtung. Das Gras war von Raureif überzogen, und sie geriet ins Rutschen. Im Fallen bemerkte sie vor sich eine Bewegung. Hatte Hugh sie überholt? Wartete er auf der anderen Seite der Lichtung schon auf sie? Einen Moment lang blieb sie im frostigen Gras liegen. Sie kniff die Augen zusammen, bemüht, genauer zu erkennen, was sich dort vorn befand.
    Es war nicht ein einzelner Mann, es waren mehrere. Iren, die die Farben ihrer Kleidung so gewählt hatten, dass man sie im Dämmerlicht unter den Bäumen kaum sehen konnte. Sie waren zu Fuß unterwegs, nur einer – es schien ihr Anführer zu sein – besaß ein Pferd. Er hatte die stolze Haltung eines Kriegers. Sein dunkelgrüner Umhang wurde von einer Spange zusammengehalten, die mindestens so groß war wie ihre Hand. Jetzt bemerkte sie auch das Schwert, das er an der Seite trug. Er wirkte wachsam, kampfbereit und gleichzeitig ruhig. Eine Kapuze sorgte dafür, dass man sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnte. Reglos und Selbstbewusstsein ausstrahlend beobachtete er sie.
    Trotz ihrer Erschöpfung war sie fasziniert. Obwohl das Gewand des Fremden, abgesehen von der Spange, einfach und unauffällig war, verhielt er sich wie ein König. Jede seiner Bewegungen war voller
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