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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche
Autoren: Horst Herrmann
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bestraft wird und wie streng, ob es von Fall 19
    zu Fall opportun ist, ihn zu bestrafen, ist auch in Rechtsstaaten, von der Kirche zu schweigen, eine andere Frage.
    Die Christenheit hat hierin gewiß ihre Probleme. Du sollst nicht töten? Der überlieferte Text des fünften der Zehn Gebote macht zwar keine Umstände, kennt keine Ausflüchte. Zumindest könnten unbefangene Beobachter dies meinen. Doch so naiv darf niemand sein, meint die Obrigkeit. Längst schon setzte ihr Interesse den Klartext des Gebotes um in bedingte Tötungsverbote. Sie kennt eine Regel - und etliche Ausnahmen von dieser. Getötet werden darf nicht, sagt sie. Das gilt ziemlich ausnahmslos für privaten Mord, für Freitod, für Abtreibung. Im letzteren Fall wird wieder feinsinnig differenziert: Um strafbar zu sein, mußte der Schwangerschaftsabbruch Erfolg haben, wie kirchliches Recht nach wie vor deklariert.43
    Man höre und staune: Der bloße Versuch stellt im Recht des
    Wojtyla-Papstes keinen eigenen Straftatbestand dar; bundesdeutsches Recht sieht dies anders. Die Abtreibungsdiskussion nahm bisher von dieser Differenz keine Notiz.
    Die Amtskirche nannte auch Ausnahmen vom generellen Tö-
    tungsverbot Gottes, die sie aus eigener Autorität für gerechtfertigt hielt — und zum Teil noch immer hält: offiziell erlaubte Morde, zum Beispiel »gerechte Kriege«, Glaubenskrieg, Todesstrafe. Bischof von Galen, dessen Widerstand gegen Hitler sich in wenigen Predigten, dessen Zustimmung zu Hitler sich in vielen Bekenntnissen bewies,44
    ist ein Beispiel für den Umgang seiner Kirche mit dem Gebot Gottes: In derselben Predigt, in der er die Vernichtung » unwerten Lebens «in Heil- und Pflegeanstalten anprangerte, unterstrich er das Recht zur Tötung von Millionen Menschen in einem »gerechten Krieg«, dem des Adolf Hitler. Solch doppelsinnige Moral ist im Lauf der Geschichte des Christentums immer wieder anzutreffen.
    So wird der Freitod als Selbstmord diffamiert und streng untersagt; er richtet sich gegen das Gottesgeschenk Leben. »Er gilt nicht nur vom Standpunkt der Religion «, schreibt ein Moralist, »sondern auch von jenem der politischen Ordnung aus als Verbrechen, weil jeder Bürger vom Tag seiner Geburt an seinem Fürsten, seinem
    Vaterland und seinen Eltern verpflichtet ist.«45 Dieses Majestätsverbrechen gegen die Grundwerte patriarchalen Denkens wurde
    jahrhundertelang von Staat und Kirche verfolgt. War der Selbstmord gelungen, rächte man sich schon im dreizehnten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung am Leichnam, schleifte ihn durch die 20
    Straßen, hängte ihn auf, verbrannte ihn zu Asche. Der Eingang zum Haus des Betroffenen wurde zur Abschreckung zugemauert, das
    gesamte Vermögen eingezogen. Nichts mehr sollte von einem solchen Menschen bleiben.
    Dabei kann das Gebot, andere umzubringen, nicht selten Vor-
    rang haben vor dem Gebot, sich selbst nicht umzubringen. Sind andere Menschen im Krieg zu töten, kann - so die Doppelmoral-theologen - der eigene Tod mit in Kauf genommen werden. Auch
    wird die Todesstrafe, dieses schaurige Residuum der Grausam-
    keit,46 von Christen nicht schlankweg abgelehnt.
    Ein historischer Exkurs: Als das Christentum zur Herrschaft
    gelangte, wurde die Anwendung der Todesstrafe nicht vermindert, sondern vermehrt. Kaiser Konstantin († 337), entscheidende politische Stütze des neuen Glaubens, verhängte sie — neben der Folter47
    - auch für jene Delikte, die den sogenannten Heidenkaisern vor ihm noch nicht als todeswürdig galten; Gegenstimmen aus der
    Kirche gab es so gut wie keine. Zwar sprach sich Papst Alexander VI. Borgia († 1503) einmal gegen diese unmenschliche Strafe aus. Doch hatte er seine Gründe, Verurteilte gegen Kaution freizu-lassen: »Der Herr wünscht nicht den Tod des Sünders, sondern daß er lebt - und zahlt.«48
    Pius V. († 1552), einer der beiden heiliggesprochenen Päpste der Neuzeit, schien diese Devise, die Geld und Leben zugleich rettete, kurz darauf wieder vergessen zu haben.49 Die von seinen Blutge-richten gefällten Urteile waren ihm häufig noch zu milde. Es war ihm nicht genug, daß die Inquisition die jüngeren Vergehen gegen den Glauben bestrafte; auch die zehn und zwanzig Jahre zurücklie-genden mußten neu erforscht und abgeurteilt werden. Eine Anweisung des Heiligen an seine Vollzugsorgane: »Ein Mann, der seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, soll beim erstenmal mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor der Kirchentür stehen, beim zwei-tenmal durch die Stadt
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