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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche
Autoren: Horst Herrmann
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Religionssoziologe können auf diese Weise daran erinnert werden, was für ihre Fachgebiete zentral ist. Muß etwa verschwiegen sein, wozu Gott und Mensch fähig sind? Dieses Buch bleibt rot; sein Gegenstand ist Menschenblut. Da der Schriftsteller keine Möglichkeit hat, sich davonzustehlen,29 muß er anschreiben gegen das kalte und leere Vergessen, gegen die geplante Lenkung und Zerstörung jeder Erinnerung: »Seht doch hin, schaut endlich hin, was unsere Väter taten — und was vor unseren Augen geschieht! Das darf doch nicht sein!« Und er sucht Verbündete,
    Mitmenschen, die sehen und handeln, statt zuzusehen.
    Ausgewogenheit ist ein geheucheltes Prinzip der Medien und
    ihrer quotenträchtigen Zuschauermasse. Sie wirkt auf mich schon im Normalfall zwiespältig. Doch das in ihr sich beweisende Har-moniebedürfnis ist völlig fehl am Platz, wo Menschen leiden. In diesem Fall geht es nicht mehr an, Gut und Böse gegeneinander abzuwägen und beispielsweise das karitative Wirken, für das Kirchen stehen,30 gegen deren unheilvolle Vergangenheit und Gegenwart aufzurechnen. Folter, Mord und Totschlag lassen sich nicht durch Diakonie aufwiegen, als höbe selbst massenhaft gute Tat je einen einzelnen Mord auf. Dieses Lotterbett des angeblich guten, da karitativ gepolsterten Gewissens sollten Christen im eigenen Interesse so schnell wie möglich verlassen.
    Vielleicht schafft nichts mehr Unglück als die guten Gewissen auf den sanften Ruhekissen, die guten Gewissen, die einer bösen Sache dienen im Glauben, daß es die gute sei. Vielleicht ermöglicht in der Tat nichts mehr Verbrechen auf der Erde als die Gleichgültigkeit.
    Gleichgültig sein heißt unablässig foltern und morden, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen.31 Ich denke unter anderem an die vielen Christinnen und Christen, die das ganze Kirchenjahr 16
    über »praktizieren«, Gottesdienste besuchen, Evangelientexte und Gebete sprechen, Predigten halten und hören, kirchliche Servicelei-stungen in Anspruch nehmen, die wechselnden Spektakel religiöser Folklore genießen, manche Mark spenden. Ihre Feiertagsgesichter strahlen wohl auch deswegen, weil sie sich ein Christenleben lang nicht um Themen wie die Folter kümmern mußten.
    Schuld, Reue, Buße sind religiös gefärbte Denkmodelle zur Er-
    klärung der Menschenwelt. Doch sie schafften es in zweitausend Jahren nicht, sich als gesellschaftliche Kategorien zu bewähren. Zu32
    politischen Handlungsanweisungen wurden sie überhaupt nicht.
    Wie ein roter Faden wird sich eine These durch dieses Buch ziehen: Das Christentum war entgegen seiner Propaganda nicht nur nicht imstande, die Menschheit entscheidend zu bessern; es trug in Theorie und Praxis dazu bei, die Verhältnisse zu verschlimmern. Das christliche Sittengesetz, zu dessen »ewigen Sternen« wir aufblicken sollen,33 leuchtet nicht gar so klar, wie seine Werbeträger es verkünden.
    Das Echo der Verfolgung Andersdenkender und Andersgläubi-
    ger hallt über Jahrhunderte hinweg in unsere Zeit.34 Der pakistani-sche Schriftsteller Tariq Ali, einer der Wortführer der 68er-Bewegung in Großbritannien, meint sogar, auch der Islam hätte eine Reformation durchgemacht und wäre mittlerweile säkular, hätten ihn Christen in Europa nicht verfolgt.35 Im übrigen war es keineswegs die christliche, sondern eine aufklärerische Geistigkeit, die eine andere Sicht des Islams in Europa anbahnte.36
    Auch der mitteleuropäische Rechtsstaat, der von Fall zu Fall, so zur Amtseinführung von hohen Richtern, hochgepriesen wird,
    weist offensichtliche Mängel auf: Schwere Körperverletzung wird in Deutschland mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, doch ein schwerer Einbruchsdiebstahl ist mit dem doppelten Strafmaß bedroht. So subtil fixiert die Waage der Gerechtigkeit den Unterschied zwischen Menschen und Waren. Hörten wir dazu je ein
    Hirtenwort? Offensichtlich sollten wir uns unter dem über tausendjährigen Einfluß christlicher Moral und Ethik nicht sehr weit in Richtung Humanität entwickeln. Weit entfernt vom steinzeitlichen Rechtsbewußtsein sind die jedenfalls nicht, die für die Mißhandlung von Mitmenschen viel weniger Strafinteresse aufbringen als für den mißlichen Verlust ihrer Pelze und Juwelen.
    Die Christen unter uns können sich nicht gleich ausklammern:
    Auch kirchliches Strafrecht trifft von Amts wegen eine feine inhu-17
    mane Unterscheidung. Wer einen Menschen tötet, verstümmelt
    oder schwer verletzt, wird nicht im entferntesten so
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