Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche
Autoren: Horst Herrmann
Vom Netzwerk:
verharmlo-ste, zog ärgerliche Vergleiche.56
    Wer über die grundsätzliche Möglichkeit der Folter (von
    Mensch, Tier und Pflanze) nachdenken will, sollte das wichtigste Bewertungskriterium und -prinzip unserer Welt beachten: Alles ist eine Frage der Definition. Gerade in der Rechtsgeschichte der Folter (die unumwunden als solche und nicht als Unrechtsgeschichte dargestellt wird)57 zeigt sich der patriarchale Grundsatz solcher Selektionen:58 Stets wird zunächst ein Mensch als »weniger ehrbar«
    definiert, damit er »mehr folterbar« wird. Der definitorische Verlust an kirchlicher, gesellschaftlicher, staatlicher Ehre geht Hand in Hand mit einem schrecklichen Zugewinn an Folter. Im Gegensatz zu tatsächlichen oder deflatorischen Sklaven (Heiden, Ketzern, Hexen) sind sogenannte Ehrbare nicht folterbar.
    Folter lebt von einem Feindbild. Wer dieses schaffen und in den potentiellen Folterern (und selbst in manchen Opfern) durchsetzen kann, ist ein mächtiger Täter, vom Schreibpult aus. Das Befehlsverbrechen Folter beginnt bei allen Tätern im Kopf. Erklären ein Staat oder eine Kirche oder beide zusammen eine bestimmte Handlung
    (oder, wie die Kirche, gar einen Gedanken) und damit den Men-
    schen, der als schuldig gilt, für sündig, kriminell, folterbar, be-schreiten sie den Weg zum Staatsverbrechen, Kirchenverbrechen, 25
    Glaubensverbrechen an den Menschen.
    Religionsdelikt Folter
    Heutzutage halten es viele für unfair, die Kirche als folternahes Unternehmen zu charakterisieren. Völlig unmöglich wäre es auch, den Vatikan als einen folternden Staat unter anderen zu bezeichnen. Da gegenwärtig nach herrschender Meinung auf der Erde
    überhaupt nicht mehr gefoltert wird, unterliegen gegenteilige Behauptungen einem Tabu. Im Falle der Christenheit ist es noch
    moralisch verschärft. Kirche und Folter? Unmöglich. Christen als Folterknechte? Undenkbar. Doch aufgepaßt! Zum einen gibt es
    noch immer auf der Welt Tausende von praktizierenden Christen, die sich als Folterer betätigen; ich werde Beispiele nennen. Andererseits kannten der ehemalige Kirchenstaat und seine Herren, die souveränen Päpste, durchaus Folter, Todesstrafe, Mord. Zum dritten sprechen handfeste Gründe für die Annahme, daß dies keine Ausnahmefälle, keine bedauerlichen Fehlleistungen einzelner Sadisten sind, sondern Ausflüsse einer bestimmten Theologie, einer sorgfältig zurechtgeschnittenen Gottestheorie.
    Als ein religiös legitimiertes Verbrechen an Menschen gehörte die Folter, vorsichtig geschätzt, zumindest von der zweiten Hälfte des dreizehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts zum normalen Strafverfahren der Kirche.59 Das bedeutet: Jahrhundertelang hoben sich Päpste, Bischöfe, Kleriker, Christen nicht nur nicht im geringsten von der allgemeinen Praxis ab, sondern stützten und legitimierten diese theoretisch wie praktisch. Ihr Gott half dabei wacker mit. Noch mehr: Christen überboten die ansonsten übliche Praxis in etlichen Fällen, verschlimmerten statt verbesserten in ihrer eigenen Justiz die Lage der Opfer, führten zu deren Lasten Begriffe und Methoden in die europäische Rechtsprechung und Vollstrek-kung ein, die bis heute nachwirken.60 Kirchengerichte zum Beispiel gingen härter als weltliche vor, und das Verfahren der anonymen Anzeige (denunciatio) ist ebenso kirchenspezifisch wie die Lehre von der Infamie (Ehrlosigkeit) eines Menschen oder einer Gruppe, die Definition eines neuen, offenbar noch folterwürdigeren Tatbestandes (crimen exceptum) und die Ausweitung der Folter auf
    andersdenkende und andersgläubige Menschen. Die Inquisition61
    26
    schließlich ist als genuiner Beitrag der Kirche zum europäischen Rechtsempfinden und Strafvollzug schon sprichwörtlich.
    Nachweislich setzte das Christentum sehr früh die von römi-
    schen Kaisern eingeschlagene Richtung fort - und gewann dabei neue, spezifische Ziele wie Methoden. Bald schon bezeichnen Christen nicht mehr nur Sklaven als ehrlos und folterwürdig, sondern erweitern den Kreis der »geringsten Menschen« (vilissimi homi-nes62) - gemäß den Interessen ihrer neuen Religion. Christliche Kaiser wie Konstantin beziehen im vierten Jahrhundert folgerichtig zunächst Hellseher, Zauberer, Magier, Wahrsager ein und kurz
    darauf auch jene Menschen, deren »unnatürliche Begierden« oder Ehebrüche als besonders unehrenhafte, weil sexuelle Delikte galten. Solch ehrlose Kriminelle wurden sowohl der Folter als auch den verschärften Varianten der Todesstrafe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher