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Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek
Autoren: Carl Nixon
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wenn seit seinem letzten Besuch bei ihr erst vier Tage vergangen sind.
    Box öffnet die Tür und quält sich aus dem Fahrersitz hoch. Als er es geschafft hat, muß er sich gegen die Karosserie lehnen, um nicht umzufallen. Das kalte Metall fühlt sich an seinem Rücken gut an. Und dann ist Dee bei ihm, schlingt die Arme um ihn, redet, weint, schimpft. Box merkt, daß er noch ein Mensch ist, weil es ihm peinlich ist, wie er aussieht, wie er riecht. Auch wenn er den schlimmsten Schmutz an dem Wasserhahn vor der Kirche abgewaschen hat, sind seine Hände und Knie alles andere als sauber, die Erde, die er in den letzten Stunden bewegt hat, hat sich zu tief eingefressen. An seinen Stiefeln kleben Erdklumpen. Und es sind Flecken an seiner Kleidung, von denen er nur hoffen kann, daß seine Großmutter nicht bemerkt, woher sie stammen. Doch dagegen kann er im Moment nicht viel tun.
    »Box«, sagt sie und dann wieder und wieder: »Oh, Box, Box, Box.«
    Sie umarmt ihn sehr fest, ihre Arme liegen über seinen und pressen sie gegen seinen Leib. Er wundert sich über ihre Kraft. Wahrscheinlicher aber ist, daß er selbst zu schwach geworden ist, um sich auch nur gegen eine alte Frau mit ihrer Handtasche wehren zu können. Box legt den Kopf auf Dees Schulter. Ihr Arm gleitet am Ärmel seines Buschhemds herab auf seinen verletzten Unterarm. Er zuckt zusammen und zieht den Arm weg.
    »Was hast du da?«
    »Nichts, hab mich nur geschnitten.«
    »Du siehst furchtbar aus.«
    »Danke.« Ein angedeutetes Lächeln.
    »Du hast dich geprügelt.«
    »So was Ähnliches.«
    »Laß mich dich verarzten. Ich habe Jod und Verbandszeug im Bad.«
    »Ich fürchte, das wird nicht reichen, Dee.«
    »Komm rein. Ich schau’s mir an.«
    »Gleich. Ich muß vorher noch was erledigen.« Plötzlich ist ihm schwindlig, und er schwankt.
    »Du mußt sofort zum Arzt.«
    »Später.«
    »Was mußt du denn so dringend erledigen?«
    »Sage ich dir später.«
    »Dann komme ich mit dir. Du siehst so aus, als würdest du ­jeden Moment umkippen.«
    »Nein. Tut mir leid, aber wenn dich jemand fragt, ist es besser, du weißt nicht, wo es ist.«
    »Wo was ist? Wovon redest du denn, Box?«
    »Kannst du mir eine Plastiktüte leihen?«
    Dee fragt nicht mal, wozu er die braucht, sondern geht ins Haus. Box mußte die Augen geschlossen haben, denn er hat nicht gemerkt, daß Zeit vergangen ist, als sie wieder neben ihm steht und ihm eine weiße Einkaufstüte aus dem Supermarkt hinhält.
    Sie schaut zu, wie er etwas vom Beifahrersitz nimmt und es vorsichtig in die Tüte steckt.
    »Was ist das?«
    »Es dauert nicht lang, Dee. Höchstens eine Stunde.«
    »Ich warte auf dich.«
    Er küßt sie auf die Wange und versucht ein Lächeln, doch er fürchtet, seine verzerrte Grimasse wirkt eher besorgniserregend als beruhigend.
    Box spürt Dees Blick in seinem Rücken, als er über den Rasen am Haus entlanggeht. Die Plastiktüte hängt schwer an seinem gesunden Arm. Als er an der Plantage ankommt, dreht er sich um und hebt die Hand. Dee winkt zurück. Sie weint.
    Box geht zum Geräteschuppen und öffnet die Tür. In dem halbdunklen Durcheinander, in dem es nach Schmiere, Zweitaktbenzin und dem aufgerissenen Sack Blumenerde riecht, tastet er sich an die Rückwand vor. Dort hängt der Spaten. Der Stiel ist aus Eichenholz, und er sieht die gefleckte Maserung und riecht das Leinöl, das sein Großvater nach jedem Gebrauch liebevoll in das Holz gerieben hat. Box nimmt ihn von der Wand und tritt wieder ins Licht hinaus. Unsicher setzt er einen Fuß vor den anderen, als er zum Bach geht; es strengt ihn an, als liefe er einen Marathon. Mehrmals muß er anhalten und sich auf den Spaten stützen, sein Atem geht schwer, der ganze Körper krampft. Box weiß, er ist am Ende – alle Batterien leer, fast tot, von Schmerzen zerrissen, halb ohnmächtig. Doch seltsamerweise spürt er noch etwas anderes, während er zum Bach hinkt, nämlich daß er sich besser fühlt als seit Ewigkeiten, vielleicht sogar seit Pauls Tod. Das Gefühl ist immer stärker in ihm geworden, hat ihn überschwemmt wie ein sanftes Meer, seit er in der frischen Morgenluft lautlos in die Bucht hinabgerollt ist.
    Noch eine Pause. Er steht auf den Spaten seines Großvaters gestützt und ringt nach Luft. Er blickt um sich. Dee hatte recht. Der Ort ist reich an Geschichte. Geschichte, die man nicht kaufen oder nachmachen kann. Der Bach und die Hügel ringsum, der lange Halbkreis der Bucht, die geschützten Strände, die Felsen und die alten
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