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Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek
Autoren: Carl Nixon
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hat. Das Gesetz wird deutliche Worte dafür haben – Körperverletzung? Hausfriedensbruch? Und er wird nicht abstreiten können, in das Wochenendhaus in Hanmer Springs eingebrochen zu sein und das Auto gestohlen zu haben. Die meisten Anklagepunkte wären durchaus berechtigt. Box macht sich nichts vor, er hat definitiv Gesetze gebrochen. Er würde eine lange Zeit nicht für Liz und Heather sorgen können. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben ist Box froh, eine so starke Frau geheiratet zu haben.
    »Es wird Zeit, Mark.«
    Box nimmt sein Jagdmesser, das in der Scheide auf dem Sitz neben ihm liegt, öffnet die Tür und kämpft sich mühsam aus dem Wagen. Sein Körper ist zu der Form des Fahrersitzes erstarrt. Er streckt sich langsam, spürt die zusammengestauchte Wirbelsäule und die verhärteten Sehnen. Alles tut ihm weh, vom Arsch bis zu den Augäpfeln. Sogar die Zehengelenke.
    Er steckt sich das Messer hinten in die Hose, öffnet die Hintertür des Wagens und zieht den Leichnam seines Sohns heraus, Kopf zuerst. Ihm fehlen mindestens ein voller Tag und ein halber Liter Blut, um Mark noch tragen zu können. Es bleibt ihm nichts übrig, als mit den Fingern in den Spanngurt zu greifen, der die schmutzige Decke am Hals des Jungen fixiert, und ihn rückwärtsgehend hinter sich her zu ziehen.
    Langsam schleift er den schweren Körper durch das offene Tor auf den Friedhof. Alle paar Meter muß er stehenbleiben, um sich auszuruhen. Er tastet sich in völliger Dunkelheit voran, fast nur nach Gefühl und aus der Erinnerung heraus. Er spürt die Grabsteine mehr, als daß er sie sieht, dicht an dicht ragen sie in langen Reihen überall empor. Wieder hält er inne und zieht rasselnd die kalte Nachtluft ein. Er ist fast ohnmächtig vor Schwäche.
    Endlich aber hat er es geschafft, Mark aus der Finsternis unter den hohen Bäumen auf die Rasenfläche hinter der Kirche zu ziehen. Der Mond, der ihm in Hanmer Springs geholfen hat, ist hinter dem Kraterrand verschwunden, doch jetzt, da er die Bäume nicht mehr über sich hat, kann er in einer Art Restlicht zumindest die dunklen Hügel von dem weniger schwarzen Sternenhimmel unterscheiden.
    Mit letzter Kraft zerrt Box die Leiche über das nasse Gras an den oberen Rand des Friedhofs. Die Feuchtigkeit hilft ihm, die Decke gleitet besser. Marks Grab ist ausgehoben. Daneben ein Hügel mit Erde, über den eine Plane gebreitet ist; Ziegelsteine beschweren ihre Ränder. Im Dunkeln kann er den Boden des Lochs nicht sehen. Box legt Mark neben das Grab, dann bricht er zusammen und fällt ins Gras.
    Er starrt heftig atmend in den Nachthimmel, jeder Muskel schmerzt. Der Himmel ist wolkenlos, und alle Wärme, die tagsüber im Boden gewesen sein mochte, hat er längst herausgesogen.
    Jetzt erst fängt Box an zu weinen. Er schluchzt hemmungslos. Die Tränen rinnen ihm über die Wangen, vor seinem Mund stehen Atemwölkchen. Sein zitternder Körper rollt hin und her, erschüttert von einem Erdbeben aus Verzweiflung und Wut, Schmerz und Angst. Und seltsamerweise auch Erleichterung – Erleichterung, daß er so nahe am Ende ist.
    Er stemmt sich auf die Knie hoch, nimmt die Ziegelsteine vom Rand der Plane und wickelt sie so eng wie möglich um sich, wie einen steifen Fellumhang. Dann legt er sich wieder neben seinen Sohn. Er spricht in den Nachthimmel.
    »Schau uns an, Tiger. Ein toter Saxton und ein halbtoter.«
    Er redet und redet, fast brabbelt er, zumeist Unsinn, Dinge, an die er sich schon nicht mehr erinnert, sobald er sie ausgesprochen hat. Zwischendurch ersticken die Wörter in Schluchzen; manchmal lacht er unkontrolliert, und dann wieder brüllt er dem Himmel Obszönitäten entgegen. Er entschuldigt sich für alles, womit er den Jungen jemals verletzt haben könnte. Er erinnert sich an Ohrfeigen und Zornesausbrüche.
    Wieder und wieder fragt er Mark, warum? Warum ist es dazu gekommen, zu dem Hügel, der Kiefer, dem Seil?
    Nach einer langen Zeit – er hat keine Ahnung, ob nach einer oder drei Stunden – ebbt sein Gefühlsausbruch ab, schließlich kommt er zur Ruhe.
    Im letzten Moment bevor die Erschöpfung ihn in Schlaf fallen läßt, erwartet Box noch ganz ernsthaft, Paul und Pop zu sehen, Augustus und alle anderen aus der langen Reihe der Ahnen, die sich ihnen vielleicht anschließen möchten. Er hält Ausschau nach ihnen am Fuß des Abhangs, zwischen den alten Gräbern. Er ist sicher, von dort werden sie kommen, an den schwarzen Bögen der Grabsteine von Pop und Paul vorbei. Er empfindet so
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