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Sepia

Sepia

Titel: Sepia
Autoren: Helga Schuetz
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gehoben und geleitet werden. Und wenn ihre Füße vorübergehend einen Standpunkt finden, bücken sie sich immer noch nicht. Sie singen oder reden. Das sind die Schauspielstudenten. Angelica Domröse, die grade noch in einem Berliner Betrieb Lehrling war und nun schon in
Verwirrung der Liebe
eine Hauptrolle gespielt hat. Eli hatte den Film vor kurzem als Dauerbesucher in der
Schauburg
gesehen, die Premiere in Anwesenheit des Regisseurs. Gleich wird ein Produktionsauto kommen, um die Domröse abzuholen. Obwohl sie erst vor einem Jahr mit dem richtigen Schauspielstudium angefangen hat, ist sie schon wieder für einen neuen Film engagiert. Eli hat ihren vollen Kartoffelkorb an der redseligen Gruppe vorbeigeschleppt und hat gesehen, dass sie es wirklich ist. Die Domröse. Wie im Kino.
    Am Hänger trifft sie den bubenhaften rotbärtigen Assistenten. Cordanzug, schwarzes Hemd. Als sei er in einem Sprung vom sauberen Konferenztisch der Aufnahmekommission hierauf dem Acker gelandet. Eli grüßt. Er guckt verwundert. Habe ich Sie auf der Liste?
    Er blättert, sucht die Jahrgänge, die Fachrichtungen, entschuldigt, unentschuldigt. Vom ersten Studienjahr ist noch niemand gekommen. Der Assistent notiert ihren Namen. Er erinnert sich, Rafaela, die Citruspflanze aus Sachsen. Feierabend für Rafaela.
    Sie darf erst mal Schluss machen, um ihren Rucksack ins Gasthaus zu tragen, um sich im Tanzsaal eine Luftmatratze zu suchen, Decken, ein Handtuch. Der Assistent erklärt den Weg. Eli schaut ihm nicht in die Augen, sie betrachtet den Bart, keine Butterbürste mehr, aber längst noch kein Knebel, fuchsrot.
    Sie müssen nur die Chaussee immer geradeaus gehen, sagt er. Hinter dem Ortsschild, das erste Haus.
    Er begleitet, kommt mit bis zum Rain, schräg durch die brandenburgische Natur, schräg über den Acker, wo der Rucksack steht. Schreitet weit aus, tritt nur mit den Fußspitzen auf, als wäre noch etwas zu retten vom Glanz der schwarzen Halbschuhe. Wahrscheinlich hat er Sand zwischen den Zehen. Spitze Steinchen im Fußbett. Zwei wund geriebene Fersen. Blasen. Eli hält sich an seiner Seite, ganz nahe, fast auf Tuchfühlung mit dem brauen Cord, sie kann die Augen nicht losreißen. Ein roter Klecks am linken Ärmel, Tinte oder Lippenstift, am Revers gelbliches Ei.
    Dann seine himmelschreiende Einfalt angesichts des Schwarms schwarzer Vögel.
    So viele Amseln, sagt er.
    Das sind wohl keine Amseln, die sind kleiner und die treiben sich nicht auf Feldern herum.
    So viele Raben, sagt er.
    Soll Eli schweigen oder schnell irgendetwas Freundliches über die Anreise sagen oder über das kommende Studium, über ihre Erfahrungen beim Lesen der Schauspiele und Dramenvon Friedrich von Schiller, das man ihr, wie er sich hoffentlich erinnern wird, zur Pflicht gemacht hatte, eine Frage vielleicht, warum man einen Unterschied macht, Schauspiele und Dramen, doch Eli kann so viel Irrglauben nicht auf den schwarzen Vögeln sitzenlassen, wie sie nun in eigenwilliger Formation den Acker einnehmen, die Vögel hüpfen, als wären sie auf einem Bein lahm, aber das täuscht, das ist der gesunde Laufstil der Saatkrähe, das Hinkebein.
    Das sind keine Raben, das sind Saatkrähen, sagt Eli, man kann es am Schnabelgrund deutlich erkennen, der ist bei der Saatkrähe weiß und rau wie Grind. Der Rabe ist sehr selten geworden im flachen Land, und er kommt nicht in Scharen dahergeflogen, denn der Rabe liebt die Einsamkeit.
    Soll sie ihm dazu noch erklären, dass der Rabe ein Göttervogel ist? Man kennt ihn, schwarz und schlau, als Begleiter auf der Schulter des Gottes Wotan.
    Aber das weiß der kluge Assistent schon selbst aus der einschlägigen Literatur. Der Rabe gilt bei vielen Völkern als Vogel der Weisheit. Der Rabe kann sagen, wo es künftig langgehen wird. Das wissen unsere gemeinen Saatkrähen leider nicht.
    Eli wandert in Richtung Dorf.
    Der Assistent Erwin Schubert hat ein schweres Amt auf sich nehmen müssen. Während er am Hänger auf den Fortgang der Ernte wartet, beobachtet er, von der neuen Studentin angestiftet, die Vögel. Jetzt hat sich eine Schar zierlich brauner Flatterwesen zwischen die Saatkrähen gemischt.
    Vielleicht Spatzen, vielleicht Sperlinge. Eli könnte ihm erklären, dass man höchstens zwischen Haus- und Feldsperling unterscheidet. Spatz und Sperling, das ist nur ein anderer Name. Der Assistent Schubert macht sich Sorgen. Er hätte die Sächsin nicht so allein ins Dorf schicken dürfen. Und während er noch seine Pflichten bedenkt,
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