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Sepia

Sepia

Titel: Sepia
Autoren: Helga Schuetz
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nimmt die Regia in Schutz, eine Verspätung kann ja mal vorkommen, statt November im Februar. Oder eine Verfrühung. Jetzt macht Henn sogar einen Scherz. Unser Wunder blüht schon im Februar statt erst im November. Die Besucher zeigen Verständnis, doch man hört auch andere Stimmen. So ein Durcheinander gab es nicht mal im Krieg.
    Schließlich gewinnen die Schönheit und der köstliche Duft. Eli hat die Palmwedel vorsichtig beiseitegeschoben, sie beobachtet die Aktion von ferne, wundert sich über den Gartenmeister. Wie er sich für die Regia ins Zeug legt. Eli hat kaum je so viele Worte von ihm gehört und so freundliche. Seerose müsste man sein.
    Henn ist dagegen, dass Eli fortgeht. Für einen Gärtner gehört sich das nicht. Ein Gärtner bleibt am Platz und hütet sein Revier.
    Es ist Elis felsenfester Entschluss. Sie wird die aufgeräumte Stadt und den Botanischen Garten mit seiner gepflegten Himalajaregion samt den prächtigen Tränenkiefern verlassen.
    Sie ist alt genug, es sind so viele Jahre vergangen, seit Großvater Anton sie als Überlebenskind im Sammelheim an der Elbe gefunden hat.
    Eli hat unterdes den Gesellenbrief, Grund- und Fachschulabschlüsse und ein Zeugnis von einem Schreibmaschinenkurs in der Tasche, alles mit dem Siegel der Stadt. Henn hat, obwohl er dagegen ist, eine Empfehlung geschrieben.
    Wo willst du denn hin?
    Woanders, wo es schön ist. Henn zuckt die Achseln, wie soll es denn woanders schön sein, er gibt Eli den Brief.
     
    Beurteilung für Fräulein Rafaela Reich
    Eli ist bis zum heutigen Tag, wenn es um das Überleben ging, durchgekommen. Auf ihrer Laufbahn wurde viel erschlagen, verbrannt, erschossen. Manch einer ist neben ihr auf dem Fluchtkarren verhungert oder erfroren. Unzählige sind bei den Fliegerangriffen auf unsere Stadt umgekommen. Eli jedoch hat in der Schornsteinecke des Luftschutzkellers überlebt. Danach ist sie in die Schule gegangen und in die Lehre, anschließend in den Botanischen Garten.
    Nun ist sie siebzehn geworden.
    Nun will sie wissen, was sonst noch möglich ist.
    Hochachtungsvoll
    Henn, Gartenmeister
     
    Eli hat im Jugendmagazin gelesen, dass es in Potsdam eine Schule gibt, die den Lernenden Mittagessen zur Verfügungstellt. Außerdem Betten und sogar Bettwäsche. Daraufhin hat Eli den ganzen Artikel gelesen. Man studiert dort vier bis fünf Jahre Kinematographie. Am Ende muss man wissen, was zu machen ist, damit sich das Auge des Zuschauers nach und nach im Kino wie die Linse einer Kamera fühlt. Auf und ab, hin und her. So bewegen sich nicht nur die Körper im Raum, sondern der Raum selbst dreht sich. Der Raum zerfällt. Motto: Der feste Sessel im Kino ist eine Täuschung. Eli vergewissert sich noch einmal. Mittagessen, Bett, sogar Bettwäsche.
    Wo gibt es denn so was.
    Eli geht an der Hochschule für Musik vorbei. Das neu gebaute Haus liegt am Wege, nicht weit vom Botanischen Garten. Hier hat Eli auf der Bühne der Aula Dekoration gestellt, eine Doppelreihe Farne in sechzehner Töpfen. Eli weiß, wo das Büro ist.
    Die Frau hinter dem Schreibtisch kann Auskunft geben. Talent ist Fleiß, sagt sie, es steht alles in unseren Broschüren. Sie überreicht Eli ein Anleitungsheft und Bewerbungspapiere.
    Das meiste ist überall gleich, für manche Schulen muss man Aufnahmeprüfungen machen, in Potsdam wird man zu einem Eignungsgespräch bestellt. Den Unterschied, Eignungsgespräch/Aufnahmeprüfung, kann die Frau hinter dem Schreibtisch nicht genau erklären, aber die Sache mit den Betten ist richtig. Es stimmt, sagt sie, manche Schulen bieten den jungen Leuten ein Unterkommen. Wir leider nicht, aber du, wenn du bei uns Student sein würdest, du hättest gleich einen Vorteil, du brauchst keine Zuweisung für ein Bett, weil du schon ein Bett und ein Zuhause hast, hier in unserer Stadt. Wir suchen noch Nachwuchs im Fach Komposition. Du hättest als Frau und als eine, die kein Bett braucht, bei uns gute Chancen. Eli dankt und seufzt innerlich. Zuhause, das ist eine Kammer neben Großvater Antons Küche. Und außerdem gibt es wahrscheinlich schon genug Musik, Großvater Anton hat eine ganze Kiste voll Platten.
    Eli steckt die Papiere ein, Fragebögen, Fortbildungsadressen.
     
    Eli macht jetzt jeden Tag halt vor der
Schauburg
. Sie versucht, nach der Arbeit zur 18-Uhr-Vorstellung zurechtzukommen. Eli bereitet sich vor. Der Sonnabendfilm bloß zum Spaß genügt jetzt nicht mehr. Eli hat herausgefunden, Kinematographie ist alles mit Kino und Filmkunst.
    Die erste
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