Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
vertraulich. Nicht alle Einnahmen aus dem Automatengeschäft wandern auf die Bank. Zumindest auf keine innerhalb dieser unserer Landesgrenzen. Es gibt da einen ... unversteuerten Anteil, Bargeld, und bevor das nicht aus dem Haus geschafft ist, möchte man lieber keine offizielle Vermisstenanzeige aufgeben. Wenn du verstehst.«
    Ich verstand. Wenn auch nicht unbedingt aus persönlicher Erfahrung. Wenn ich mein unversteuertes Bares unauffällig verschwinden lassen wollte, bräuchte ich es nur in eine Parkuhr zu werfen. Um was für Beträge ging es denn hier?
    »Kristof«, Veronikas Antlitz überzog ein schwärmerischer Ausdruck und ich dachte ja?, »zwischen 40 und 60 Prozent schieben die am Finanzamt vorbei. Aufs Jahr gerechnet müssen das Millionen sein!« Und ihre Augen glänzten.
    »Also im Schnitt die Hälfte«, sagte ich. Schon wieder so eine geistreiche Bemerkung!
    Ein klar lackierter und scharf geschliffener Zeigefingernagel kam um Haaresbreite daran, mir das rechte Ohr abzutrennen. Veronika, meine Anwältin und . gute Bekannte, war wieder auf die Füße gesprungen und deutete zur Türe ihres Büros.
    »Raus!«, brüllte sie mir >Full Blast< ins Gesicht. »Raus! Sprich mit Ursel Sentz, und dann geh und mach das Einzige, was du außer Blödeln kannst, und finde Sascha, und gnade dir Gott, wenn du Mist baust!«
    Was man auch sagt, es ist verkehrt, dachte ich und stiefelte missmutig die Treppen hinunter. Kam es mir nur so vor, oder war Veronika heute noch reizbarer gewesen als eh schon von Haus aus? Vielleicht sollten wir eine Weile warten, bevor wir -uns unserer wahren Gefühle ein für alle Mal bewusst - zusammenzogen. Von morgens bis abends so ein Geschrei, und ich würde den Shake ja gar nicht mehr aus den Knochen kriegen.
    »Warum bin ich enttäuscht?«, fragte Hauptkommissar Menden und ließ seinen unterkühlten, blassgrauen Blick reglos auf mir ruhen. Ein Kunststück, wo doch mein Anblick gleichzeitig ein unaufhörliches, leichtes Kopfschütteln in Betrieb zu halten schien. »Da habe ich Sie endlich, wo ich Sie schon seit Jahren haben möchte, und doch«, er schnalzte mit der Zunge, »es gibt mir nichts.« Immer noch kopfschüttelnd nahm er den Blick von mir und ging einmal auf, einmal ab.
    Ich saß vor seinem Schreibtisch und wusste nichts zu sagen. Alles, was ich wusste, hatte ich schon gesagt, nämlich, dass ich praktisch nichts wusste, und so saß ich jetzt da und schwieg.
    »Vielleicht liegt es ganz einfach daran«, mutmaßte Menden, stützte sich auf eine Fensterbank und sah hinaus in den Innenhof des Präsidiums, »dass der Grund für Ihre Verhaftung, namentlich >Totschlag nach Saufgelage<, so entsetzlich trivial daherkommt. Wenn auch«, fügte er hinzu, »wie ich wohl kaum hinzufügen muss«, fügte er hinzu, »nicht wirklich überraschend.«
    »Hemd kaufen, Hemd kaufen, Hemd kaufen«, murmelte ich, ließ die Haustür zur Kanzlei hinter mir ins Schloss fallen und stapfte die Kettwiger Straße hoch. Eine grausam helle Aprilsonne grinste tückisch zwischen den Wolken hervor und stach mir mit spitzen Fingern durch die Augäpfel hindurch direkt ins Gehirn.
    »Hemd kaufen, Hemd kaufen, Hemd kaufen«, murmelte ich, in großer Hast bemüht, möglichst rasch irgendwo ins Dämmrige zu kommen, wie zum Beispiel in den Bahnhof. Da fand ich mich vor einem der trügerisch rechteckig geformten und mit orange
    rotem Lack überzogenen gordischen Knoten der Neuzeit wieder.
    FAHRKARTEN stand an seiner Stirn.
    Ich wohne direkt über einer Kneipe. Bis auf seltene Gelegenheiten wie diese wird der gesamte öffentliche Personennahverkehr daher komplett an meinem Bedarf vorbeiorganisiert. Entsprechend souverän bin ich in seiner Handhabung.
    Wie ein mit einem neuen Futterautomaten konfrontierter Schimpanse umrundete ich den Apparat erst mal vorsichtig und beobachtete meine Artgenossen bei der Bedienung. Die meisten unterbrachen dafür nur flüchtig ihre eiligen, zielgerichteten Schritte, drückten geradezu beiläufig einen bestimmten aus zwei langen Reihen von Knöpfen, klackklack erschien ein Betrag in einem kleinen Fenster, sie warfen das Geld ein und prrrtprrrtprrrt spuckte die Maschine einen Fahrschein aus. Das konnte nun wirklich jeder.
    Mit gespielter Lässigkeit baute ich mich vor dem Automaten auf und drückte wahllos eine Taste. 25 Mark! Das war mir dann doch zu happig. Ich probierte einen anderen. 6 Mark 80. Das kam schon eher hin. Besser zu viel als zu wenig, sagte ich mir, kramte nach Geld und förderte ganze 2
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher