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Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
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viel war, steckte die Schütte, die Schnute, den Schnabel der Soßenschüssel hinein, hob sie an und ließ es Sterntaler regnen. Kühl und gleichmäßig und mit feinem Klimpern regnete mir das Ergebnis zehnjährigen, verbissenen Sparens das Bein hinunter und sammelte sich in einer kleinen Abraumhalde um meinen rechten Fuß. Richtig, rechts die Tasche hatte schon immer ein Loch gehabt. Zähneknirschend kratzte ich alles wieder auf und wiederholte das Spiel auf der linken Seite. Rief ein Taxi. Schnappte mir meine Lederjacke und verließ das Haus. Es wurde Zeit.
    Wenn man in Duisburg zur Sparkasse geht, um einen Kredit zu beantragen, und seine Adresse angibt und der Sachbearbeiter runzelt für einen Moment ratlos die Stirn und fragt nach dem Ortsteil und man sagt >Bruckhausen<, kann man gleich einpakken. Wer in Bruckhausen wohnt, braucht Kredit, und deshalb gibt man ihm selbstverständlich keinen.
    Sagt man dagegen >Kaiserberg<, muss man anschließend nur noch die Höhe des Betrages angeben und irgendwo unterschreiben. Am Kaiserberg nimmt man einen Kredit auf, weil man seine Anschaffungen gerne sofort tätigt, anstatt mühsam endlose vier oder fünf Wochen darauf hin zu sparen.
    Familie Sentz bewohnte eine Villa. Am Kaiserberg. Während ich Kleingeld hervorpfriemelte, um das Taxi zu bezahlen, hatte ich Zeit, sie mir anzusehen. Zumindest die Straßenseite. Die drei Doppelgaragentore. Die eternitgeschieferte, videokamerabestückte, glatte, rechteckige, völlig fensterlose Fassade. Ich kenne Hochbunker, die heimelig wirken im Vergleich zu diesem Klotz.
    Als ich endlich den passenden Betrag zusammen hatte, war die Uhr drei Mark weitergelaufen, und ich musste noch mal pfriemeln.
    »Wobei«, sagte Hauptkommissar Menden zu seinem Fenster zum Hof, »Totschlag noch die wohlwollende Alternative darstellt. Wenn wir wirklich >Verdacht auf Totschlag< über das Vernehmungsprotokoll setzen sollen, müssten Sie uns schon eine tieftraurige, zu Herzen gehende Geschichte auftischen.«
    »Und eine glaubhafte obendrein«, sagte Kommissar Hufschmidt, der bis dahin nur mit verschränkten Armen an der Wand gelehnt und bohrend gestarrt hatte. »Denn, dass wir uns recht verstehen: Im Moment ermitteln wir hier wegen Mordes. Wir brauchen nur noch ein Motiv. Und das werden wir finden. Sei unbesorgt.«
    Doch ich war es nicht. Unbesorgt, meine ich.
    Mir war zittrig, was besonders toll ist mit einer halb zermalmten Hand im Schoß, ich schwitzte mehr als nötig, und ganz allgemein kann man, glaub ich, sagen, schwächelte ich recht herbe. Keine optimale Verfassung, um ein Verhör zu durchstehen, doch danach hat noch keiner jemals gefragt.
    Ursel Sentz hatte mich schon unter dem Vordach des seitlich gelegenen Eingangs ihres schuhkartonförmigen Domizils erwar
    tet. Die Hände in die Taschen von einer Mischung aus Rock und Hose vergraben, musterte sie mich beim Näherkommen, als frage sie sich, ob sie mich überhaupt ins Haus lassen sollte. Meine Jeans drückte so erbärmlich, dass ich das Gefühl nicht los wurde, noch glubschäugiger als vorher zu sein, und das Gewicht des verbliebenen Kleingelds ließ mich das linke Bein nachziehen, als hätte ich einen Hüftschaden.
    Meine Laune war nicht besonders.
    »Haben Sie keinen Wagen?«, lautete denn auch ihre Version einer herzlichen Begrüßung. Sie war ein dürres Huhn mit einem überwachen Blick in ihren gelblichen Augen und einer Menge geplatzter Äderchen auf ihrer scharfen Nase. Fusel und Pillen, war mein Tipp, Pillen und Fusel. Eine brisante Mischung.
    »Doch«, antwortete ich, »aber ich habe vergessen, wo ich ihn geparkt habe.«
    Wenn Veronika das gehört hätte, wäre ich meines Lebens nicht mehr sicher gewesen, bei ihr hier hatte ich damit gewonnen.
    »Aber Sie sind der Detektiv?«, fragte sie. »Genau«, sagte ich. »Der Detektiv.«
    »Dann kommen Sie rein«, und sie hielt mir die Haustür auf. Hatte auch noch bessere Manieren als unser gemeinsamer blonder Rechtsbeistand.
    »Links die Türe«, schnarrte sie mit einem rutschfesten Belag auf der Stimme. Ich ging wie mir befohlen und doing! Willkommen bei Mr. und Mrs. Neureich. Genug Perser auf dem Boden dieses riesigen Mitteldings aus Wohnzimmer und Büro, um drei Räume dieser Größe damit auszulegen, genug dicke, schwere Vorhänge vor den Fenstern, um die Aussicht auf den blumenbeetgerahmten Rasen dreimal zu verhängen, und genug Schnörkel an den nachgemachten Antiquitäten, um mir dreimal den Magen umzudrehen. Überall, wohin man auch blickte,
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