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Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
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Denkens nennt sich >Pessimisti-scher Realismus<, und in eben dieser Geisteshaltung durchstöberte ich den Kleiderberg nach eventuell doch noch Tragbarem; mit dem zu erwarten gewesenen Ergebnis.
    Acht Stunden in einer verräucherten und überheizten Kneipe schaffen jedes Hemd, und irgendwie hat noch keine meiner Hosen eine im Auto eingenommene Schnellmahlzeit unbeschadet hinter sich gebracht. Irgendwas leckt, tropft, träufelt doch immer, und auch die Biere in der >Endstation< zeigen gewöhnlich eine mit Fortdauer des Abends zunehmende Tendenz zum Schwappen. Kurz, es war hoffnungslos. Je länger ich wühlte, prüfte, ans Licht zog oder unter eine sich mehr und mehr kräuselnde Nase hielt, desto zweifelsfreier musste ich mir bescheinigen, wirklich kein Teil ohne zwingenden Grund in die Wäsche getan zu haben. Also in die Maschine damit, gewaschen, geschleudert, trockengeföhnt? Dauerte zu lange. So ist das immer: Wochenlang tut sich nichts, ich habe alle Zeit dieser Welt, und dann, wenn ich am allerwenigsten darauf vorbereitet bin, bricht urplötzlich die Hektik über mich herein. Ich fasste mir an die Stirn, konzentrierte mich hart.
    Da war ein Mann zu suchen; möglicherweise verduftet, eventuell entführt, unter Umständen in Gefahr, womöglich in Lebensgefahr - wenn wir Pech hatten, gar schon tot -, vielleicht aber auch nur auf Sauftour; wie dem auch sei. Doch seine Frau wollte, dass ich ihn suchte, und war bereit, dafür zu zahlen. Und das sollte an einem Haufen verstunkener Plörren scheitern? Aber nicht mit Kristof. Wo konnte ich noch etwas zum .? Mein Fundus!
    Mit einem Satz war ich am Bett und zerrte den alten, verstaubten Koffer darunter hervor. Den hab ich schon eine Ewigkeit.
    Schnackschnack, die Schlösser auf, den Deckel hoch, und da lag sie, in all ihrem angejahrten Charme: meine alte Luftmatratze! Und darunter: Mutters selbst gestrickte Häkeldecke! Wie alte Freunde lachten sie mich an. Wo waren wir drei nicht schon überall gewesen! Am Biggesee (fast ersoffen). Im Schwarzwald (bald erfroren). Auf Wangerooge (um ein Haar krepiert. Vor Langeweile). Und jeden Morgen ein verrenkter Hals, weil das Kopfteil der Luma nicht dicht hielt. Trotzdem, bei aller Wiedersehensfreude, es war, fiel mir auf, nicht ganz das, wonach ich gesucht hatte. Einen >Fix und Foxi< -Bettbezug, einen Stapel Feinripp-Unterhosen und einen blaugrünen Regenmantel tiefer wurde ich dann fündig. Tatsache. Sie war noch da.
    Mit einem unwillkürlichen Schauder zog ich sie ans Licht, die engste Jeans mit dem weitesten Schlag aller Zeiten. Und gleich darunter kam auch noch ein lila Batik-T-Shirt mit langem Arm zum Vorschein. Beides ein bisschen muffig von Jahrzehnten der Lagerung, aber vor dem Einmotten zweifelsfrei frisch gewaschen und gebügelt.
    Ach, Mutter!
    Ob die Sachen noch passten? Das Feinripp wie 'ne Eins. Hastig stieg ich in die Jeans. Über den Arsch ging sie eigentlich ohne Probleme, nur um den Reißverschluss hochzuziehen, musste ich eine Zange zu Hilfe nehmen und dann noch das Loch mit Hilfe eines Schraubenziehers über den Knopf hebeln. Fertig. Das T-Shirt passte saugend, spannte nur in den Schultern ein bisschen. Ich drehte mich um, stellte mich meinem Spiegelbild. Wahnsinn! Der Halsausschnitt war breiter als der eines Pantomimen, und die Ärmel gingen von den Ellbogen abwärts auseinander wie die Hosenbeine südlich der Knie. Wenn ich mir jetzt noch die Haare in die Stirn kämmte, sah ich aus wie der fünfte Beatle. Der, den sie nie mit auf Tournee nahmen. Der, den sie keine Interviews geben ließen. Von dem es keine Fotos gab. Dessen Existenz sie kalt leugneten. Weil er ihnen so peinlich war. Den sie stattdessen - ihr düsterstes Geheimnis - in einer Zelle gefangen hielten, aus der er sich in seinen einsamen Nächten mit wunderschönen Liedern in eine andere Welt sang. Lieder, die sie heimlich mitschnitten, um später >Lennon/ McCartney< hinter die Titel zu schreiben ...
    Ich besah mich noch mal von oben bis unten. Ja, genau so sah ich aus. Als gehörte ich in eine Zelle. Am besten eine mit elastischer Wandvertäfelung.
    Saubere Socken sind nicht so wichtig, sage ich immer, solange man die Schuhe nur fest genug zubindet. Blick auf die Uhr, Jacke an, Taxi rufen. Doch halt: Und womit bezahlen? Die Sauciere. Heute war sie reif. Normalerweise wäre ich mit drei langen Schritten in der Küche gewesen, doch mit dieser Hose wurden fünf kurze daraus. Entschlossen zerrte ich die rechte Hosentasche auf, so weit es ging, was nicht
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