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Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
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dabei zu, wie sie sich das widerspenstige Haar aus dem Gesicht strich, wie sie auf dem oberen Ende ihres Kulis herumbiss, wie es sie plötzlich in der Kniekehle juckte und sie sich mit spitzen Fingernägeln kratzte, und ging in mich. Sollte Kim von ihrer Tournee in Höhen getragen werden, aus denen sie mich nicht mehr wahrnahm, oder sollte sie mit dem ernst gemeinten Vorschlag zurückkommen, mich in einen aus halb Europa zusammengeklaubten Harem einzureihen, gäbe das Veronika und mir endlich Gelegenheit, uns unserer wahren Gefühle füreinander bewusst zu werden. Und allein deshalb musste ich mich zusammenreißen. Ich würde nicht erst ab morgen, sondern ab heute die Flasche beiseite stellen, dieser Entschluss stand plötzlich fest, felsenfest, und würde allen Versuchungen trotzen wie die Sylter Steilküste der tosenden See.
    Kim ... >Ich werde von unterwegs nicht anrufen<, hatte sie gesagt, >und auch nicht schreiben. Keiner weiß genau, wie lange diese Tour dauern wird, doch am Tag nach dem letzten Konzert bin ich bei dir. Es ist versprochen.< Und in der Zwischenzeit feierte sie mitsamt ihren mannstollen Bandkolleginnen nach jedem Gig nächtelange Orgien mit Lappen und Esten, Schotten und Walisern, Flamen und Bretonen, Luxemburgern und Elsässern, Appenzellern und Tirolern, Galiziern und Katalanen und, und, und .
    ODER EBEN AUCH NICHT.
    Eifersucht ist die linke der beiden potthässlichen Zwillinge, und ihre Schwester heißt Paranoia. Wen sie in die Finger kriegen, den peinigen sie mit einander abwechselnden Anfällen quälender Gewissheit und ebenso quälender Ungewissheit.
    Mich hatten sie mit dieser Methode, scheint's, ein wenig in den Suff getrieben. Doch damit war Schluss. Und sollte mit Kim auch Schluss sein, war da immer noch Veronika ... Allerdings war die vom Charakter her etwas anders als Kim. Zum einen schon mal materialistischer.
    »Nein«, sagte sie gerade, »für dieses Mandat werden Vorarbeiten in einem Umfang nötig sein, dass ich auf mindestens zwanzigtausend Mark Vorschuss bestehen muss. Richten Sie das aus.«
    Sie würde sich ihrer wahren Gefühle wohl kaum für einen Mann mit knappen eins achtzig in der Tasche und einem bis zum Äußersten gedehnten Dispo auf der Bank bewusst werden.
    Ich musste also nicht nur die Flasche beiseite stellen, sondern mich auch intensiv um Arbeit kümmern, einen Haufen Aufträge an Land ziehen, vielleicht ein paar Mitarbeiter einstellen, die Detektei bundesweit ausdehnen, meinen Umsatz in Millionenhöhe schrauben. Große Zahlen, damit konnte man ihr imponieren.
    Und große Muskeln. Damit auch. Womit wir beim nächsten Problem wären. Veronika war anders als Kim . Solider irgendwie. Und deshalb seit neuestem . verheiratet.
    Solange ich sie kenne, und das ist eine Weile, hatte sie nur reiche Blödiane zum Freund, oder starke. Aber immer Blödiane. Und den, tja, Stärksten hat sie dann geheiratet: Drago. Karatelehrer. Nicht sehr groß, aber sehnig. Selbstbewusst wie ein Kaffernbüffel. Und genauso . stark. Seit er Tür- und allgemeinen Sicherheitsdienst in der >Endstation< übernommen hat, ist das Klima dort viel zivilisierter geworden. Wurde vorher gerne zum abgebrochenen Glas, zum Kristallaschenbecher, zum Billardqueue oder zu handlichen Teilen des Mobiliars gegriffen, um einem Argument zu Schlagkraft zu verhelfen, so wird heute bei Ausbruch eines Disputes eher Überzeugungsarbeit geleistet und die Meinungsverschiedenheit im Dialog gelöst, ausdiskutiert. Halblaut, sobald sich der stets in hautenge schwarze T-Shirts gewandete Schatten nähert.
    Der Weg zu Veronika führte nur über ihn.
    »Hören Sie, können Sie das nicht ein bisschen raffen? Ich bin hier mitten in einer wichtigen Besprechung .«
    Sollten wir uns also unserer wechselseitigen Gefühle füreinander klar werden, mussten wir uns auch der Tatsache stellen, dass wir Drago würden beseitigen müssen.
    Äußerte sich bei mir eine Attacke von Eifersucht in einem mehrtägigen Alkoholrausch, zeigte Drago etwas andere Symptome für ähnlichen emotionalen Befall. Auch er geriet darüber in Rausch, keine Frage. Doch nicht nach Alkohol.
    Der Gedanke, vor ihn hinzutreten und ihn nach einer Mahnung an seine Vernunft darum zu bitten, Veronika mir zu überlassen, hatte ungefähr den gleichen Appeal wie einem startenden Propellerflugzeug die Stirn bieten zu wollen. Nein, ich würde ihn kaltmachen müssen. Am besten aus großer Entfernung. Ein Gewehr wäre ideal. Eines mit Zielfernrohr. Da hatte ich schon wunderbare
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