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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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flüchtig kannte, da war sich Ursula sicher, wenn da schon vorher etwas gelaufen wäre, hätte sie es gemerkt. Christoph Wurtz war nicht der Mann, der auf zwei Hochzeiten tanzte, er hätte gar nicht die Zeit gehabt, sie kannte jede Stunde seiner Tage und Nächte.
    Es war ein gottverdammtes Wunder.
    Sie stellte den Wagen ab und stieg aus. Die Fassade des Blocks schimmerte gelblich im Licht der Wintersonne. Sie war in Ordnung, die Fassade. Keine Flecken, kein abgeblätterter Putz. Sie sah nur einfach krank aus. KRANK! Wie das ganze Haus. Wie alle Menschen, die darin wohnten. Eine beschissene, dreimal verfluchte Verliererbude – und hierhin musste sie nun zurückkehren.
    Hier, das wusste sie, würde sie nicht bleiben. Sie konnte es gar nicht. Sie hatte eine Tochter, die in Wien das Studium begonnen hatte. Architektur. Karin war begabt. Behauptete, kein Geld von zu Hause zu brauchen, weil sie nebenher einen Job hatte. Wodurch das Studium sich in die Länge ziehen würde. Das konnte Ursula nicht zulassen. Es war nicht gut für Karin und nicht gut für Ursula ... Jobben und hier wohnen. An Semmlers Seite. Sie musste raus.
    Eine Stunde oder anderthalb, spielte keine Rolle. In dieser kurzen Zeit hatte Wurtz die Frau ins Bett gekriegt,Semmler war in der Goethestraße aufs Dach gestiegen, hatte die beiden beobachtet und war abgestürzt. Sie wusste, das er sich an den Sturz nicht erinnern konnte, nur an die Szene davor; die Tätowierung: eine Rose wahrscheinlich. Sie konnte Wurtz nicht danach fragen, ihr Verhältnis war gestört. Er hatte sie entlassen. Müssen. Auf Anweisung der Neuen (Ursula weigerte sich, den Namen zu behalten). Die führte ihn am Gängelband, wie es Hilde getan hatte. Immerhin verschaffte ihr Wurtz eine andere Stelle beim Kollegen Embacher, der Mitte sechzig war und miserabel zahlte, auf Dauer war das nichts.
    Als sie das merkwürdig riechende Treppenhaus hinaufging, fasste sie wieder Mut. Diese Treppen würde sie nicht mehr allzu lang empor steigen. Sie würde sich umsehen. Sie hatte einmal einen Ausweg gefunden und würde wieder einen finden. Als sie die Wohnungstür aufschloss, kam ihr der Gedanke, wie alles hätte sein können – wenn sie damals bei Koslowski geblieben wäre. Der hatte kein Geld gehabt; verglichen mit Semmler, aber immerhin ein Haus ... Es brachte nichts, über die Vergangenheit nachzudenken. Sie war in den Zug eingestiegen, der nun in die falsche Richtung fuhr. Aber dieser Zug hielt auch manchmal. Sie musste eben aussteigen und sich neu orientieren. Und sie würde aussteigen. Schon beim nächsten Halt.
     

6
    Die Kirche lag am Ortsrand auf einem Felssporn, dem letzten Ausläufer des Berges vor dem Ried. Es war eine alte Kirche, eine der ältesten des Landes. Der Ortsteil gehörte zu Feldkirch und besaß seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch eine neue Kirche. Hier ganz in der Nähe wohnte Pfarrer Moser. Semmler war vom Bahnhof Feldkirch mit dem Taxi gekommen.
    Vernünftig wäre es gewesen, unter den herrschenden finanziellen Umständen den örtlichen Busplan zu studieren. Noch daheim, im Internet. Das hatte er nicht getan. Er fuhr nicht mit Bussen, nie. Mit Bussen fuhren nur Kinder, arme Alte und Leute, die den Führerschein nicht geschafft hatten. Daran hielt er fest. Der Bus, der nach Liechtenstein hinüber fuhr, hielt bei der neuen Kirche, aber er widerstand der Versuchung. Einmal Bus, immer Bus, so weit war er noch nicht gesunken.
    Sie hatten das Auto verkauft. Für ihn mit seinem steifen Bein war es nutzlos, selber zu fahren für immer vorbei, und Ursula kam seit ihrer Erkrankung kaum mehr aus der Wohnung. Das Auto war nur noch ein Geldfresser, der Verkauf das Vernünftigste, was sie tun konnten. Dennoch tat es ihm bei jeder Taxifahrt leid, dass er keinen Wagen mehr hatte.
    Das Haus des Pfarrers lag unterhalb der Kirche an der Dorfstraße. Er läutete. Niemand kam. Er läutete noch einmal. Er war ein Idiot. Er hätte vorher anrufen müssen, einen Termin vereinbaren. Das alles kam halt daher, dass er so kirchenfern lebte; daher auch seine Vorstellung, ein Pfarrer seientweder in der Kirche oder im Pfarrhaus anzutreffen; wie in den Don Camillo-Filmen. Blödsinn. Ein Pfarrer war in vielfache Verpflichtungen eingebunden – auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, was ein Pfarrer den ganzen Tag machte. Den Bürgermeister einfach so zwischendurch in seinem Haus aufzusuchen, das wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, da hätte er einen Termin vereinbart, obwohl
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