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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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Erzählung tröpfelte dahin, er kannte die Pointe, die äußerst schwache Pointe, was das Hinauszögern doppelt quälend machte; ohne die Schmerzmittel hätte er sie angefahren, endlich auf den Punkt zu kommen, Herrgott noch mal!
    Der Punkt war, dass sie wochenlang dem Werben des Anwalts widerstanden hatte. So war das gewesen. Dann, buchstäblich von einem Tag auf den anderen, zeigte Wurtz eine solche Kühle im Umgang mit ihr, dass sie erst glaubte, durch irgendeine missverständlich aufgenommene Bemerkung seinen Unwillen erregt zu haben. Was heißt Unwillen, ihm eine Verletzung beigebracht zu haben, ohne Absicht, wie sich versteht. Es war eben der Tag, als Semmler ... ja, ja, sagte der, ich weiß noch, welcher Tag das war! Sie hätten schon einen Tisch in jenem Lokal bestellt, erzählte sie weiter, das Essen sei sehr schweigsam verlaufen, Wurtz habe ein Bild großer Zerknirschung geboten, sie endlich mit der Wahrheit herausgerückt; es sei ihm klar, habe er gesagt, erzählte Ursula, dass er sich ihr als einer verheirateten Frau gegenüber nicht korrekt benommen habe, denn seine Aufmerksamkeiten hätten, dass müsse ihr doch aufgefallen sein, keinen rein freundschaftlichen Charakter gehabt; ja, dass sei ihr allerdings aufgefallen, habe sie geantwortet, erzählte Ursula, aber wie, so habe sie gefragt, hätte sie denn darauf reagieren sollen? Ja, wie? Semmler hatte Mühe, dem verschachtelten Bericht zu folgen.
    Er wollte schon fragen, ob sie ihn nicht vor dem Restaurant gesehen habe; er ließ es aber, es war in seinem Zustand zu mühsam, ihren Redefluss zu unterbrechen.
    Nun denn, fuhr sie fort, er habe ihr gestanden, sich verliebt zu haben – und weiter musste er nichts sagen; aus den Umständen dieses Geständnisses war nur allzu klar, dass nicht sie das Objekt dieser Verliebtheit sein konnte. Und überhaupt: verliebt! Schon die Wortwahl! Wenn es einer ernst meint, sagt er: ich habe einen Frau kennengelernt, wir lieben uns, oder wenigstens: Ich liebe sie oder etwas in der Art halt. Aber verliebt . Daran ersieht man doch schon das zutiefst Unernste, das gleichsam Spielerische, das Leichtfertige des Charakters (an dieser Stelle brach ihr die Stimme, was ihm nicht entging). Sie fasste sich, erzählte weiter. Ja, sie habe ihn natürlich beglückwünscht und sich nach der Angebeteten erkundigt, ob sie sie vielleicht kenne und so – aber er habe sehr geheimnisvoll getan, woraus sie den Schluss gezogen habe, dass die Betreffende von ihrem Glück noch gar nichts wusste. Dadurch habe die Situation etwas ganz und gar Pubertäres bekommen: der erwachsene Mann erzählte ihr, Ursula, als einer Vertrauten von den Wirrungen seines Herzens, als ob er fünfzehn wäre und sie eine ältere Schwester oder Cousine. Semmler versuchte sich einen Fünfzehnjährigen vorzustellen, der seiner älteren Schwester oder Cousine erzählte, in wen er aktuell verliebt war, es gelang ihm nicht; bei einem Fünfundvierzigjährigen, der dasselbe seiner Angestellten erzählte, gelang es ihm noch weniger und bei Wurtz im speziellen Fall überhaupt nicht. Das alles konnte sich nicht so abgespielt haben. Sie beschönigte die Dinge oder erfand sie. Aber das war egal. Wichtig war nur eines: Sie saß hier an seinem Bett und würde das auch weiterhin tun. Er hatte einen Deal.
    Sie hätten das Essen dann eher schweigend zu Ende gebracht, berichtete Ursula, Wurtz habe sie zu ihrem Auto inder Radetzkystraße gebracht, sie sei heimgefahren, wo sie zu ihrer großen Beunruhigung ihn, Semmler, nicht angetroffen und sofort die Polizei verständigt habe. In der Früh sei dann die Meldung von seinem Unfall gekommen. Sie verstummte, er streichelte ihre Hand, sagte, er fühle sich sehr müde und schloss die Augen.
    »Kannst du mir verzeihen?«, flüsterte sie.
    »Was?«
    »Dass ich Wurtz nicht sofort zurückgewiesen habe, als er mir den Hof gemacht hat ...«
    »Ach das? Ja, ja ...«
    Bald danach verabschiedete sie sich. »Den Hof machen« dachte er, als sie weg war, unglaublich ... er war sich nicht einmal sicher, ob der sagenhaft ungebildete Wurtz, ein Wirtschaftsmensch reinsten Wassers, sprachlich etwa auf dem Niveau eines Siebenjährigen, auch nur die Bedeutung dieser Phrase kannte. Wie auch immer. Was er nun gehört hatte, mochte Bestandteile der Wahrheit in großer Verdünnung enthalten, aber wirklich nur in großer Verdünnung. Alles andere war gelogen. Semmler war es egal.
    Ursula fuhr nach Hause.
    Hätte sie gewusst, wie gleichgültig Semmler ihren Eskapaden
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