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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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ich habe das dumme Gefühl, ich muß selber abkratzen.«
    »Unsinn! Heutzutage stirbt man nicht an einer Blinddarmoperation!« Mehr fiel mir dazu nicht ein, aber ich betrachtete das blasse Gesicht doch mit einiger Sorge.
    »Tust du mir noch einen letzten Gefallen?«
    Ich lächelte: »Jeden!«
    Cora griff nach meiner Hand und lispelte: »You are my sister! Auf dich kann ich mich immer verlassen.«
    »In alle Ewigkeit, amen«, sagte ich.
    Gleich darauf mußte ich einsehen, daß meine Zustimmung voreilig gewesen war.
    »Du hast doch noch das Methadon?« begann sie, und ich nickte widerwillig.
    »Maja, es wäre eine Sünde, wenn wir es vergammeln ließen.
    Fahr nach Castellina und mix der Amerikanerin einen kräftigen Cocktail!«
    Meine Mimik drückte anscheinend so viel Abscheu aus, daß Cora hchen mußte. »O Gott, tut das weh!« fuhr sie mich an. »Du darfst heute auf keinen Fall Witze machen.«
    Mir war nicht nach Scherzen zumute. Diesmal würde ich mich von Cora nicht wieder vorschicken lassen. Ich schüttelte den Kopf. »Ohne mich! Falls du deine Schnapsidee nicht
    aufgibst, mußt du sie höchstpersönlich verwirklichen, die Tropfen sind sicherlich noch jahrelang wirksam!«
    Unser Gespräch dauerte fast zwei Stunden und bestand über längere Strecken aus meinem trotzigen Nein und ihrem herrischen Doch. Da wir uns fast wie im Kindergarten stritten, kam eine Krankenschwester herein und setzte mich vor die Tür.
    Cora war derart auf das toskanische Landgut fixiert, daß sie mir einerseits ein Drittel ihres gesamten Besitzes als Belohnung in Aussicht stellte, andererseits bei Verweigerung den totalen Krieg androhte. Auf dem Heimweg überlegte ich allen Ernstes, ob meine Freundin durch die gestrige Narkose nicht mehr bei Sinnen oder gar von Natur aus eine abgefeimte Kriminelle war. Falls schon wieder ein Verbrechen begangen werden sollte, warum plante sie dann für sich selbst ein perfektes Alibi? Bisher hatten wir die Suppe stets gemeinsam ausgelöffelt. Wollte sie mich testen oder loswerden? Auf jeden Fall hatte ich jetzt nicht mehr vor, sie täglich im Krankenhaus zu besuchen. Sollte ihr doch Mario einen Blumenstrauß und Emilia die frischgewaschenen Nachthemden bringen.
    Alles kam wieder einmal anders. Emilia bat darum, Bela über Nacht zu einem Besuch bei einer Kusine mitnehmen zu dürfen, in deren Dorf gerade ein kleiner Zirkus gastierte.
    Vielleicht war Bela auch ein Vorwand für Emilia und Mario, um ihrem eigenen kindlichen Vergnügungsbedürfnis nachgeben zu können.
    Eigentlich hatte ich mir für diesen Tag eine ganze Menge längst fälliger Arbeiten vorgenommen, die aber alle von jener Art waren, daß man sie gern und ohne verhängnisvolle Folgen ein wenig vor sich herschiebt. Ohne schlechtes Gewissen ließ ich den Tag erst einmal geruhsam angehen. Im Grunde genommen hatte ich nie allein gelebt, nun ergab sich unverhofft die Möglichkeit, den Garten, alle Räume und auch die Küche nach Lust und Laune zu nutzen. Heute konnte ich zum ersten
    Mal im Leben nur für mich etwas Leckeres kochen. Ich schaute in die Speisekammer und entdeckte sofort, daß die Flasche mit dem grüngoldenen Olivenöl leer war. Selbst Emilia war nicht immer perfekt.
    Wer mit dem Feuer spielt, kommt dann um. Ich hatte mir Eriks Spruch gemerkt, obwohl er sicherlich eher für Cora galt als für mich. Im Gegensatz zu ihr liebte ich die Gefahr überhaupt nicht und war deswegen auch heil und unversehrt mit meinem Kind zu Hause angekommen. Hätte mir Emilia nicht eine leere Ölflasche hinterlassen, so wäre ich auch an jenem Tag brav daheim geblieben.
    Diesmal fuhr ich sehr schnell, ohne auch nur im geringsten von ängstlichen Vorahnungen gepeinigt zu werden.
    Wein und Öl kaufte man am besten direkt beim Erzeuger, und ein kleiner Spaziergang auf dem Lande könnte mir nur guttun. Ob ich die Schotterstraße zu Coras Sehnsuchtsobjekt überhaupt wieder finden würde? Ich hatte nichts anderes vor, als mir das Anwesen noch einmal von weitem anzuschauen, um Coras Hirngespinste um so besser wegpusten zu können.
    Wahrscheinlich hatte ich mich verfahren; die Serpentinenstraße, in die ich abgebogen war, führte zwar bergan, wurde aber immer enger, steiniger und unwegsamer. Es war die stille Stunde Pans, in der man selten ein menschliches Wesen antrifft, das man um Auskunft fragen könnte. Macht auch nichts, dachte ich, dann werde ich eben bei einem xbeliebigen Bauern mein Olivenöl kaufen, ein bißchen herumschlendern und in Castellina Mittag essen.
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