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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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stellte ich fest, daß ich unter diesen Umständen das Methadon endgültig in den Ausguß schütten konnte. Demnächst würde ich Cora in allen Details schildern, wie Pamela zwar die gesamte Dosis im Kaffee konsumiert habe, aber mangels sportlicher Betätigung ohne die erhofften Folgen.
    »Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?« fragte ich.
    »Ja, durchaus, hier ist es wie im Paradies«, sagte Lucia artig, »allerdings ein wenig einsam. Nun, anfangs mußte ich auch über Nacht bleiben, aber jetzt erlaubt sie mir, daß ich nach dem Abendessen heimfahre. Und zum Glück essen die Ausländer ja schon sehr zeitig und diese Amerikanerin überdies nur ganz wenig!«
    Belustigt über die wunderlichen Sitten der Yankees, lächelten wir uns verständnisinnig zu. »Also kommen Sie wenigstens rechtzeitig nach Hause, denn sicher haben Sie einen Freund«, meinte ich.
    Sie nickte: »Schließlich besteht das Leben nicht bloß aus Kochen und Bügeln. Dino holt mich jeden Abend ab, dann gehen wir oft noch aus. Und am Wochenende habe ich meistens frei.«
    Als ich gähnen mußte, zog die reizende Lucia die Gardinen der Terrassentür zu und trat ab. Vielleicht erschien es ihr auch etwas fragwürdig, sich mit einem Gast ihrer Herrin so vertraulich zu unterhalten. Ich hielt ein kurzes Nickerchen und träumte, daß der verstorbene Engländer von den Toten auferstand und seinen Besitz zurückforderte.
    Beim Erwachen war ich ein wenig überrascht, mich in der Traumvilla wiederzufinden.
    Da meine Gastgeberin noch zu ruhen schien, nahm ich mir ein paar Bildbände aus dem Regal, das für etwaige Besucher direkt neben dem Bett aufgestellt war. Als ich in einem der kunsthistorischen Bücher blätterte, entdeckte ich, daß Pamela Lachnit eine Biographie der amerikanischen Malerin Mary Cassat verfaßt hatte. Ich nahm mir vor, Pam auf keinen Fall zu unterschätzen.
    Auch in diesem Raum wiesen mehrere Bilder auf Pamelas Faible für den Impressionismus hin. Aber gegen meinen Matisse war das alles Pipifax, dachte ich stolz. Die Plastiktüte lag neben mir auf dem grüngeäderten Marmorboden, so daß ich, ohne mich aus dem Bett zu bequemen, das Gemälde aus dem Kopfkissenbezug herausziehen konnte.
    Der Matisse gehörte jetzt mir! Hingerissen starrte ich auf das delikate Haremsmotiv, dessen enorme Spannung zwischen Realismus und phantasievoll-dekorativem Detailreichtum mich überaus entzückte.
    Plötzlich fiel helle Nachmittagssonne auf mein Gemälde, und Pamela schwebte lautlos wie ein Phantom durch die duftigen Gardinen der Terrassentür; ich hatte keine Zeit mehr, um den Matisse unter die Bettdecke zu schieben.
    Der Schreck stand mir wohl so verräterisch im Gesicht geschrieben, daß Pamela sich wie ein Geier auf das Bild stürzte. Als Kunstkennerin war sie mit Recht begeistert, ja mehr als das - sie geriet in einen Zustand der Ekstase.
    »Wundervoll! Einfach exzeptionell! Wie sind Sie an so ein wertvolles Stück geraten?«
    »Geerbt«, behauptete ich reaktionsschnell, obwohl ich auf ihren Anschlag überhaupt nicht vorbereitet war.
    »Dann sind Sie ja einem vermögenden Stall entsprungen «, sagte sie, und schon schlich sich leise Skepsis in ihren Tonfall.
    Ich geriet in Verlegenheit und erfand reiche Großeltern, jedoch völlig verarmte Eltern, die durch Spekulationen fast alles verloren hatten.
    Meine blumige Familiengeschichte interessierte Pam wenig.
    »Sie wissen sicherlich, daß dieser Matisse Mitte der zwanziger Jahre entstanden sein muß? Ihr Großvater konnte ihn wahrscheinlich noch günstig erstehen. Was wollen Sie dafür haben?«
    Unter Zeitdruck entschied ich mich gegen einen Verkauf, der sicherlich mit einer Expertise und der Aufdeckung des Diebstahls verbunden wäre. Eine Kettenreaktion von
    Ermittlungen käme dann ins Rollen, die ich auf alle Fälle vermeiden sollte.
    »Unverkäuflich«, sagte ich sehr bestimmt.
    In diesem Augenblick trat in Pamelas Augen ein Glitzern, das mich sofort an Coras obsessive Begehrlichkeit erinnerte.
    »Ich bin reich«, sagte sie, »wir können uns sicherlich einigen.«
    »Nie im Leben!« beharrte ich trotzig und bettete ein Kissen auf das Gemälde.
    Pamela sah mich an wie die Schlange das Kaninchen, und ich errötete tatsächlich. »Das Bild ist echt«, überlegte sie, »da fress' ich einen Besen. Ist es am Ende gestohlen?«
    »Nein!« log ich standhaft.
    Aber Pamela glaubte mir offensichtlich nicht. Man könne schnell herauskriegen, ob ein Gemälde aus einem Einbruch stamme, es habe keinen Zweck, wenn ich nicht mit
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