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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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bearbeiten. Unermüdlich ruft der Kuckuck, ich hoffe, er wird nie von einer der hiesigen Katzen erwischt. Überall stoße ich auf Reste ihrer Mahlzeiten - zerbissene Eidechsen, Mäusekadaver, Vogelschwingen -, die ich vor Bela verstecken muß. Im Augenblick spielt er mit Umberto im Gewächshaus. Mein Sohn ist hocherfreut, daß er sich mit diesem neuen nonno besser unterhalten kann als mit Mario.
    Von der Mauer aus kann ich mich sogar nützlich machen.
    Einer fleißigen Gärtnerin gleich, angele ich mir die Äste eines prächtigen Oleanderstrauchs herüber und zupfe abgestorbene Stiele, die sich in den Astgabeln leicht abknicken lassen, sowie gelbe Blätter, vertrocknete Blüten und winzige Schnecken von seinen Zweigen.
    Gestern sind meine ersten Gäste wieder abgereist, weil die Osterferien zu Ende gingen; es waren zwei Ehepaare aus dem Rheinland, die wenig Interesse für Kunstgeschichte zeigten, dafür um so mehr für das Schwimmbad. Für Bela hatten sie ein österliches Hasenbilderbuch mitgebracht. Ich muß es ihm fast jeden Abend vorlesen, wir können den Text inzwischen auswendig. Der Bösewicht dieser Geschichte ist ein Fuchs, der jedoch am Ende geläutert schwört: Ich fresse keine Hasen mehr. Neulich habe ich über mein bisheriges Leben nachgedacht und beschlossen: Ich morde keine Männer mehr.
    Bis jetzt vermisse ich das Großstadtangebot fast gar nicht und bin eigentlich froh, daß die zahlenden Besucher wieder abgereist sind. Tag für Tag ist mein Kind bei mir, mehr brauche ich nicht als Gesellschaft. Es kommt mir so vor, als hätte ich in dieser stillen und zauberhaften Natur eine friedliche Heimat gefunden, wie ich sie bis jetzt noch nie besessen habe.
    Deswegen ist es mir gar nicht ganz recht, daß sich Cora bereits für morgen angekündigt hat und nur wenige Wochen später die Amerikanerin eintreffen wird. Bis dahin gibt es noch dies und das zu tun, aber Lucia und Umberto werden mir helfen, daß alles blüht und blitzt. Mit dem tiefen Frieden wird es jedoch vorbei sein. Ich werde mich wahrscheinlich bald entscheiden müssen, ob der Matisse weiterhin jenseits des großen Teiches in Pamelas Schlafzimmer hängen bleibt. Cora kann sehr beharrlich sein.
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